Initiative Hafenstraße’96
Die Initiative Hafenstraße’96 ist ein ehrenamtlicher Zusammenschluss von Aktivist*innen, um eine antirassistische Gedenkkultur für die Opfer und Betroffenen des Hafenstraßen Brandes in Lübeck aufrecht zu erhalten und zu etablieren.
Zehn Menschen verloren in der Ostseestadt Lübeck ihr Leben. In den frühen Morgenstunden des 18. Januar 1996 brannte die Asylbewerber*innen-Unterkunft in der Hafenstraße 52 in Lübeck. Sieben Kinder und drei Erwachsene kommen hierbei ums Leben. 38 Menschen wurden verletzt. Der Brand in Lübeck gilt als unaufgeklärter Brandanschlag mit der bisher höchsten Opferzahl – alles deutet darauf hin, dass die Täter*innen Neonazis waren. Auch im Fall Lübeck, wurde ebenso wie bei den NSU-Morden oder in Solingen, zunächst ein Opfer beschuldigt. Bis heute wurden keine Täter*innen ermittelt. Auch 24 Jahre später bleibt der zehnfache Mord unaufgeklärt.
Die Ereignisse um den 18. Januar 1996
Der Anruf von Francoise Makodila erreicht die Notrufzentrale um 03:41 Uhr. Ihre verzweifelten Schreie aus einem Sprachgemisch von Französisch, Lingala, einem afrikanischen Dialekt, und Deutsch werden von Geräuschen eines donnernden, prasselnden Feuers übertönt. »Hafenstraße! Nazis! Mein Gott!« kann sie noch rufen, dann stirbt sie im zweiten Stock des Hauses. Auch ihre fünf Kinder ersticken im beißenden giftigen Rauch des Feuers. Der 17-jährige Rabia El Omari, Sohn libanesischer Geflüchteter, erstickt in seinem Zimmer im zweiten Stock. Das Erdgeschoss und das Treppenhaus stehen in Flammen und so müssen mehrere Bewohner*innen über einen Sims auf das Dach des Hauses flüchten. Dabei stürzen Monique Bunga und ihre siebenjährige Tochter Nsuzana in die Tiefe und sterben. Die Bewohner*innen im ersten Stock retten ihr Leben nur noch durch Sprünge aus den Fenstern und erleiden dabei schwerste Verletzungen. Nachdem der Brand so gut wie gelöscht ist, findet die Feuerwehr zwischen dem Vorbau und dem Eingangsbereich einen weiteren bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Toten. Erst fünf Tage später wird in der Gerichtsmedizin festgestellt, dass die Ursache seines Todes nicht das Feuer war.
Während die Bewohner*innen des Hauses um ihr Leben kämpften, stehen schon seit geraumer Zeit drei junge Männer aus Grevesmühlen ,ganz cool‘ neben ihrem Auto, einem Wartburg, am Straßenrand und sehen dem Brand aus sicherer Distanz zu. Zuvor sind die Männer, laut Zeug*innenaussage, ein Autorennen durch Lübeck gefahren. Eine vorbeifahrende Polizeistreife kontrollierte die Männer. Einer der Männer gibt einen falschen Namen an. Am 17. Januar 1996 werden die Männer in Grevesmühlen, einer Kleinstadt im benachbarten Bundesland Mecklenburg-Vorpommern festgenommen und nach Lübeck in Polizeigewahrsam zum Verhör gebracht. Die Männer werden der ortsansässigen Skinhead- Szene zugeordnet.
Ein vierter Tatverdächtiger wird erst am späten Nachmittag ermittelt und gegen Abend festgenommen. Dieser Mann wird nicht erkennungsdienstlich behandelt, da seine Person der Polizei aus nicht genannten Zusammenhängen bekannt zu sein scheint. Bis in die Nacht des 18. Januar 1996 nimmt die Lübecker Kriminalpolizei die Alibis der Tatverdächtigen auf, obwohl inzwischen festgestellt wurde, dass drei der Männer frische Haarversengungen haben – die auf einen Kontakt mit einem Feuer hindeuten. Begründungen hierfür sei u.a. das Anzünden eines Hundes gewesen. Ein Gerichtsmediziner nimmt gegen Mitternacht Haarproben, der bis dahin Verdächtigen. Dieser Tatbestand wird vorerst nicht an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet.
Am 19. Januar – gegen Mittag – werden die Männer aus dem Polizeigewahrsam entlassen. Am gleichen Tag gegen 17 Uhr wird der Bewohner des Hauses Safwan Eid, zusammen mit seinem Bruder verhaftet. Der aus dem Libanon stammende Mann wird, aufgrund einer ominösen Zeugenaussage beschuldigt, dass Asylbeweber*innenheim, in dem er seit Jahren mit seiner Familie lebte, angezündet zu haben. Die Kontaktdaten des Zeugen, werden später bei einem der Männer aus Grevesmühlen gefunden.
Am 3. Februar 1996 erfährt die Polizei, dass einer der Tatverdächtigen aus Grewesmühlen ein Teilgeständnis gegenüber einem Zeugen abgelegt haben soll – die Ermittlungen gegen die vier Männer aus Grevesmühlen werden im Mai 1996 ein erstes Mal eingestellt und im September 1996 ein zweites Mal. Im Dezember 1996 brüstet sich einer der anderen Tatverdächtigen mit der Brandlegung in der Hafenstraße. Es folgen keine weiteren Ermittlungen.
Safwan Eid wird im Juni 1996 aus der U-Haft entlassen. Nach einem langen Prozess wird er durch einen Freispruch, welchen die Staatsanwaltschaft aufgrund von Mangeln an Beweisen gefordert hat, am 30.06.1997 freigesprochen. Insgesamt wurde er zweimal unschuldig angeklagt und inhaftiert.
1998 gesteht einer der Verdächtigen aus Grevesmühlen, der von Freunden „Klein-Adolf“ genannt wird, während er aufgrund eines anderen Deliktes in Haft sitzt, die Legung des Brandes einem Justizvollzugsbeamten. „Er habe damals zusammen mit seinen drei Freunden das Feuer gelegt“. Dieses Geständnis widerruft er später, wohl aufgrund der Empfehlung der Polizei und Staatsanwaltschaft, um den Prozess für die Betroffenen ruhen zu lassen. Ein halbes Jahr später gesteht er die Tat erneut einem Journalisten.
Trotz der Geständnisse der Tatverdächtigen aus Grevesmühlen wurden die Ermittlungen nicht erneut aufgenommen. Ein rassistisches Tatmotiv wurde nicht verfolgt. So bleiben viele Ungereimtheiten zurück, die sich nicht nur mit der Frage der Schuld beschäftigen. Ebenso ungeklärt gilt die Todesursache von Sylvio Amoussou, der im Vorderbaus des Hauses ums Leben kam. Sein Leichnam wies Verletzungen auf, die nicht nur durch das Feuer, sondern v.a. auch durch Fremdeinwirkungen hätten zustande kommen können (Bsp. Schädelbruch). Die Ereignisse und Ermittlungen, um den Brandanschlag in der Hafenstraße könnten noch weiter ausgeführt werden. Fakt ist – bis heute gibt es keine verurteilten Täter*innen. Der Brand wird als Ursache ein technischer Defekt zugeordnet, trotz mehrfacher Geständnisse eines Neonazis.
Die Erinnerungskultur in Lübeck
Seit dem Brand 1998 hat sich in Lübeck ein Unterstützer*innen-Kreis etabliert, der sich zunächst für die Rechte der Hafenstraßen-Bewohner*innen und die Aufklärung der Tat einsetzte. Hieraus ist damals das sogenannte Lübecker Flüchtlingsforum e.V. entstanden. Das Lübecker Flüchtlingsforum hat in den vergangenen Jahren u.a. die Gedenkfeier an die Toten und die Betroffenen der Hafenstraße organisiert. Seit ein paar Jahren hat sich zudem aus einem Freund*innenkreis des Lübecker Flüchtlingsforum die Initiative Hafenstraße 96 ́ gegründet.
Wir, die Initiative Hafenstraße 96 ́ sind ein Zusammenschluss aus Menschen, die in und um Lübeck leben und dass Erinnern, Gedenken und Mahnen an die Menschen aus der Hafenstraße 52 als Teil unseres politischen Erbes betrachten. Die meisten von uns haben die Ereignisse damals als Kinder oder junge Erwachsene miterlebt.
Jedes Jahr organisieren wir mit u.a. mit dem Lübecker Flüchtlingsforum eine Gedenkwoche um den 18. Januar in Lübeck. Diese besteht aus Informations– und Diskussions- veranstaltungen, zum Bsp. mit Betroffenen von anderen rassistischen Anschlägen. Ebenso richten wir die Gedenkfeier am Ort des Geschehens in der Hafenstraße aus. Hier beteiligt sich die Stadt mit einem Grußwort und einem Gedenkkranz. Ein*e Bürgermeister*in hat seit dem damaligen Bürgermeister Michael Boutellier, der sich unaufhaltsam für die Überlebenden und ihr Aufenthaltsrecht einsetzte, nicht mehr an der Gedenkfeier teilgenommen. Die Woche endet mit einer jährlichen Demonstration, um gemeinsam an die Betroffenen und Opfer zu erinnern und auf die Bedrohung durch rechte Gewalt zu verwiesen.
Staatliches Versagen aufgrund der fehlenden juristischen Aufklärung
Der Brand gilt weiterhin als nicht aufgeklärt. Wir als Initiative betrachten ihn als einen ungeklärten rassistischen Brandanschlag, der sich einreiht in eine Reihe rassistischer und extrem rechter Gewaltdelikte in den 1990er Jahren in Lübeck. Nicht erst durch den NSU mussten wir feststellen, dass staatliche Ermittlungen immer wieder ein rassistisches oder extrem rechtes Tatmotiv außer Acht ließen. Daher ist eine erneute Aufnahme der Ermittlungen, in denen ein rassistisches und menschenfeindliches Tatmotiv im Vordergrund steht, für uns als Initiative unabdingbar. Es ist erschreckend, dass trotz dieser Teilgeständnisse von aktiven Neonazis und der Welle der rassistischen Gewalt in den 1990er Jahren in der Bundesrepublik, die Debatte, um eine Schuldzuweisung zu rechten Täter*innen mit Vorsicht geführt wurde und wird. Der Brand in der Hafenstraße ist eine Tat, die sich ereignete in einem Höhepunkt rechter Gewalt in Lübeck – u.a. wurde 1994 ein Brandanschlag durch rechte Jugendliche auf die die Lübecker Synagoge verübt. Es herrschte ein Klima rechter Gewalt in Lübeck und Deutschland, in dem es nicht nur darum geht menschenfeindliche Weltbilder zu vertreten, sondern Menschen aufgrund Ihrer Herkunft das Leben zu nehmen. Ein Klima, dass noch bis heute besteht.
So stehen wir als Initiative vor der Herausforderung die Erinnerung an den Brandanschlag aufrecht zu halten, obwohl die gesellschaftliche Empörung um das Ausmaß der Tat längst verklungen ist. Wir gehen davon aus, dass wenn der Brand als ein rassistischer Brandanschlag (im juristischen Sinne) deklariert worden wäre, würde der Gedenkkultur an die Betroffenen und Opfer, vermutlich, auch durch die Seiten der Hansestadt eine bedeutsamere Rolle zugeschrieben werden.
Unsere größte Herausforderung – fehlende Betroffenenperspektive
Wie bereits aus diesem Text herauszulesen ist, mangelt es an Perspektiven der Betroffenen in der Erinnerungsarbeit. Dies ist leider u.a. der Tatsache geschuldet, dass wir als Initiative wenige bestehende Kontakte zu Überlebenden, Betroffenen und ihren Angehörigen haben. Wir versuchen dies dringend zu ändern. Wir wissen, dass die Betroffenen unsere Arbeit kennen und es sehr schätzen, dass wir die Erinnerung an den Brand aufrechterhalten. Wir wissen auch, dass es Betroffenen gibt, deren Schmerz zu groß ist, um sich aktiv zu beteiligen. Ein Grund hierfür ist auch, die schmerzliche Erfahrung durch die Ermittlungen und falsch Beschuldigen gegen den Bewohner Safwan Eid.
Wir streben an die bestehenden Kontakte zu verfestigen, um die Bedürfnisse der Betroffenen in den Fokus unserer Arbeit zu stellen. Ein Ziel was wir in unserer Arbeit verfolgen, ist zum einen die Führung von Zeitzeugen Interviews und die Gestaltung einer Ausstellung, um die Erinnerung an die Opfer und Betroffenen nicht zu vergessen. Hierfür haben wir leider bisher vergeblich versucht eine öffentliche Finanzierung durch die Hansestadt Lübeck zu erhalten. Hierfür sind wir weiterhin auf der Suche nach Finanzierungs – und Unterstützungsmöglichkeiten.
Wir sehen die Gestaltung einer Erinnerungskultur als notwendig an, um Betroffenen rechter Gewalt Solidarität entgegenzubringen. Es sind ihre Erfahrungen und ihr Leid, dass es nicht zu vergessen gilt. Es ist unsere Verantwortung nichts und niemanden zu vergessen, um eine Zukunft aufzubauen in der, Menschen ohne Angst leben und ein Zuhause haben.
In Erinnerung an die 48 Menschen aus dem Haus in der Hafenstraße 52. Keiner der Menschen lebte in diesem Haus freiwillig.
Françoise Makodila Landu, 33 Jahre
Christine Makodila, 17 Jahre
Miya Makodila, 14 Jahre
Christelle Makodila Nsimba, 8 Jahre
Legrand Makodila Mbongo, 5 Jahre
Jean-Daniel Makodil Kosia, 3 Jahre
Monique Maiamba Bunga, 27 Jahre
Nsuzana Bunga, 7 Jahre
Sylvio Bruno Comlan Amoussou, 27 Jahre
Rabia El Omari, 17 Jahre
Diese zehn Menschen waren aus Zaire, Ghana, Togo, Tunesien, Syrien und aus dem Libanon geflohen, um in Deutschland ein sicheres Zuhause zu finden. Sie kamen als Geflüchtete nach Deutschland und wurden von deutschen Täter*innen ermordet.