Gedenken

In Trauer um die Opfer des rassistischen Brandanschlags Hafenstraße’96 in Lübeck versammelten sich 200 Menschen am Gedenkort. Überlebende und Angehörige zeigen: Solidarität verbindet!

Grußwort

Sehr geehrte Familien und Freund*innen von Francoise Makudila, Christine Makudila, Miya Makudila, Christelle Makudila, Legrand Makudila, Jean-Daniel Makudila, Rabia El Omari, Maiamba Bunga, Suzanna, (Nsuzana) Bunga und Sylvio Amoussou.

Sehr geehrte Überlebende des rassistischen Brandanschlages vom 18. Januar 1996.

Fast 25 Jahre ist es her, dass Eure Liebsten, Eure Freund*innen, Eure Verwandten ermordet wurden. Fast 25 Jahre lang haben wir alle gehofft, dass die Mörder endlich verhaftet werden. Fast 25 Jahre ist es her, dass ein Überlebender mit den Morden in Verbindung gebracht werden sollte, um von den rassistischen Hintergründen der Tat abzulenken.

Als Opfer und Überlebende der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992, als Angehörige der von Rassisten ermordeten Bahide Arslan, Yeliz Arslan und Ayşe Yilmaz wissen wir um den Schmerz der Erinnerung und an die unendliche Herausforderung, die das Überleben bedeuten kann.

Als Angehörige und Überlebende und als Freundeskreis im Gedenken der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992 möchten wir Euch bitten – wenn Ihr könnt – Eure Geschichten und Eure Erinnerungen zu teilen.

Wir möchten die Geschichten von Francoise, Christine, Miya, Christelle, Legrand, Jean-Daniel, Rabia, Maiamba, Suzanna (Nsuzana) und Sylvio hören.

Wir möchten hören, wer sie waren und wir möchten mit Euch gemeinsam daran denken, wer sie hätten sein können. Wir trauern mit Euch.

Dabei wissen wir, dass Erinnerung immer eine unendliche Traurigkeit aber auch eine große Schönheit hat. Die unendliche Traurigkeit über ihr Fehlen und über die Gewissheit, dass es niemals mehr eine „neue Erinnerung“ an sie geben wird. Und die große Schönheit, dass sie immer da sein werden, in den Herzen und Gedanken aller, die sie erinnern.

Deshalb lasst uns gemeinsam laut ihre Namen sagen:

Francoise Makudila
Christine Makudila
Miya Makudila
Christelle Makudila
Legrand Makudila
Jean-Daniel Makudila
Rabia El Omari
Maiamba Bunga
Suzanna (Nsuzana) Bunga
Sylvio Amoussou

reclaim and remember – das Erinnern erkämpfen-

Das sagen wir schon seit vielen Jahren. Das Erinnern erkämpfen ist für uns die beständige Trauer. Das Erinnern erkämpfen ist die Gewissheit, dass Ihnen und Euch und uns nichts von selbst gegeben wird. Kein Erinnern, keine Gerechtigkeit und keine Aufklärung. Erst recht nicht von denen, die Euch und uns das versprechen oder versprochen haben.

Auch diese Erfahrung teilen wir.

Und wir möchten von dem feigen Versuch hören, die Verantwortung für die Tat, die ungeheure Last des zehnfachen Mordes auf einen von Euch, einen von uns zu schieben.

Von dem Versuch, die weißen rassistischen Täter und diese Gesellschaft zu entlasten. Auch als Opfer oder Angehörige sind wir weiterhin Repressionen und Schikanen ausgesetzt. Das ist uns bewusst.

Wir wissen sehr wohl, wie es ist, ohne den deutschen Pass, ohne gleiche Rechte, ohne Anerkennung von der Mehrheitsgesellschaft zu leben und uns nicht davor zu beugen. Wir wissen, dass es als Betroffene rechter/rassistischer Gewalt kein Vertrauen in staatliche Instanzen geben kann, weil unsere Rechte als Migrant*innen auch hier keine Rolle spielen. Die Opfer werden durch falsche Verdächtigungen ein weiteres Mal ermordet. 1992 in Mölln, 1996 in Lübeck und kurz danach auch die Opfer des NSU.

Unser gemeinsames Entsetzen, unsere gemeinsame Empörung, unsere gemeinsame Wut, darüber dass die Mörder von Francoise, Christine, Miya, Christelle, Legrand, Jean-Daniel, Rabia, Maiamba, Suzanna (Nsuzana) und Sylvio bis heute frei sind.

Unser gemeinsames Entsetzen, unsere gemeinsame Empörung, unsere gemeinsame Wut über die rassistischen Ermittlungen nach dem Anschlag, die sich ausgerechnet gegen einen der Überlebenden richteten.

Ermittlungen, die die Offensichtlichkeit rassistischer, antisemitischer, sozialdarwinistischer Motive oder die Feindlichkeit gegen Sinti und Roma, gegen Menschen mit Behinderungen oder gegen LBTIQ* leugnen und verschleiern. Das habt ihr erlebt, das haben die Angehörigen der vom NSU Ermordeten erlebt, das hat auch Faruk Arslan bei den Morden an Bahide, Yeliz und Ayse erlebt.

Unser gemeinsames Entsetzen, unsere gemeinsame Empörung und unsere gemeinsame Wut, dass alle Möglichkeiten, die Hintergründe der rassistischen Morde zu ermitteln vertan wurden und die Verantwortlichen dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wurden.

Wir möchten gemeinsam mit Euch diesen zweiten Anschlag auf die Überlebenden und Betroffenen zurückweisen.

Wir fordern:

  • dass bei jedem Tötungsdelikt immer zunächst ermittelt wird, ob es ein Mord aus rassistischen, antisemitischen, rechten, sozialdarwinistischen, frauenfeindlichen Motiven gewesen sein könnte.
  • dass immer zuerst untersucht wird, ob Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma, gegenüber LesbenSchwulenBisexuellenTransInterQueer oder sich anders verortenden Personen das Motiv gewesen sein könnte.
  • Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Tat des 18. Januar 1996.
  • Wir fordern, dass auch diejenigen ermittelt und angeklagte werden, die die Aufklärung verhindern, die in staatlichen Strukturen die Morde und ihre Hintergründe zu vertuschen versuchen.
  • Und diejenigen, die sich aktiv schützend vor und hinter die Täterinnen, Täter und ihre Helfenden stellen.

Wir fordern Gerechtigkeit für die Menschen aus der Hafenstraße. Gerechtigkeit für Francoise Christine, Miya , Christelle ,Legrand Makudila, Jean-Daniel, Rabia, Maiamba, Suzanna (Nsuzana), Sylvio Amoussou. Gerechtigkeit für die Überlebenden und Angehörigen. Gerechtigkeit für Safwan Eid.

Gerechtigkeit bedeutet auch, sich zu fragen was wir einander schuldig sind und was wir einander verdanken. Und Gerechtigkeit fängt mit unseren gemeinsamen Fragen an:

  • Welche zusätzliche Gewalt wird durch das Verschweigen von struktureller Gewalt ausgeübt?
  • Wer wird öffentlich betrauert und wer nicht?
  • Wie können wir alle eure Forderungen und die anderer Überlebender und Betroffener verstärken?
  • Wie können wir einander in unseren diversen Kämpfen unterstützen?
  • Welche neuen und anderen Erzählungen können wir entwickeln, um heutige Ungerechtigkeiten offenzulegen und kommende Gerechtigkeiten erleben zu können?
  • Was würde eine konsequente Auseinandersetzung mit Rassismus bedeuten?
  • Wie können die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden?
  • Wie können Konsequenzen aussehen, die nicht nur leere Worthüllen sind, sondern echte Veränderung bedeuten?
  • Wie können wir das schaffen?

Wir erinnern heute auch an die 13 Schwarzen Jugendlichen Humphrey Brown, Peter Campbell, Steve Collins, Patrick Cummings, Gerry Francis, Andrew Gooding, Lloyd Richard Hall, Patricia Denise Johnston, Rosalind Henry, Glenton Powell, Paul Ruddock, Yvonne Ruddock, Owen Thompson, die am 18 Januar 1981 beim New Cross Fire ermordert wurden. Trotz zwei Untersuchungen ist bis heute Niemand für die Morde angeklagt worden.

Es ist das, was unsere gemeinsame Aufgabe ist und sein wird: als Angehörige der von Rassisten und Faschisten Ermordeten, als Überlebende, als diejenigen, die mit rechten und rassistischen Anschlägen mit gemeint sind und als solidarische Menschen.

Wir wissen aber auch, dass die Behörden, die Justiz und ihre Polizei Angst vor uns haben, Angst vor unserer Vernetzung und unserem Widerstand. Deshalb muss heute dringender denn je unteilbare Solidarität gegenüber Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt ausgesprochen werden. In der gesamten Gesellschaft.

Es gilt, gemeinsam zu trauern, aber sich auch gemeinsam Kraft zu geben. Sich neu zu verbinden und gemeinsam die Geschichten vom Leben von Francoise, Miya, Christine, Christelle, Legrand, Jean-Daniel, Rabia, Maimba, Suzanna und Sylvio zu erzählen und zu hören. Ebenso wie all die Geschichten unserer Ermordeten. Damit sie weiterleben, damit ihr und wir weiterleben können in all dieser Trauer. Damit wir ihnen und uns begegnen, uns bestärken und unsere Verletzlichkeiten verbinden zur Veränderung.

18. Januar 2021, Freundeskreis im Gedenken an die rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992

Vertonung des Grußwortes