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Einleitung

Der „Fall Hafenstraße“ besteht aus dem Brandanschlag selbst und den nachfolgenden Ermittlungen und Prozessen, die damit (bislang…) endeten, dass niemand für das Verbrechen verantwortlich gemacht werden konnte. Waren für zwei Tage zunächst 4 junge Nazis aus Grevesmühlen verdächtig, wollten Polizei und Staatsanwaltschaft in Safwan E, einem der Hausbewohner:innen, den Täter ermittelt haben. Ihm wurde zwei Mal der Prozess gemacht und in beiden Verfahren freigesprochen.

Entgegen der Behauptungen der verantwortlichen Staatsanwälte konnte nicht nur der Verdacht gegen die vier Nazis nicht ausgeräumt werden, sondern dieser Tatverdacht wurde im Laufe der Jahre bis 1998 immer konkreter. Dennoch weigerten sich die Ermittlungsbehörden vehement, diesem Verdacht nachzugehen.

Antifaschistische Initiativen sprachen bereits im Frühjahr 1996 von „in ihrer Einseitigkeit rassistischen Ermittlungen“, bei denen ein Opfer des Anschlages zum Täter konstruiert wurde, während die eigentlich Tatverdächtigen in Schutz genommen wurden. Wir arbeiten an einer umfangreichen Dokumentation des Geschehens, der Ermittlungen, der Prozesse und der Berichterstattung, die an dieser Stelle nach und nach online veröffentlicht wird.

Chronologie der wichtigsten Ereignisse

17.09.1991 6-tägiger rassistischer Pogrom in Hoyerswerda gegen ein Flüchtlingswohnheim und vietnamesische Vetragsarbeiter:innen.
05.04.1992 Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein entfällt auf die rechtsextreme DVU 6,3% der Stimmen. In Lübeck beträgt das Ergebnis 9,2%.
22.08.1992 4-tägiger rassistischer Pogrom in Rostock-Lichtenhagen gegen die Zentrale Aufnahmestelle für Asylbewerber:innen und ein angrenzendes Wohnhaus vietnamesischer Vertragsarbeiter:innen. Der spätere Verdächtige von Lübeck, Dirk T. war laut eigener Aussage „mit seiner Gruppe dabei“.
23.11.1992 Brandanschlag von Mölln fordert 3 Tote und 9 Verletzte. Im Jahr 1992 sterben mindestens 28 Menschen durch rechtsextreme Gewalt.
26.05.1993 Sog. Asylkompromiss: Das Grundgesetz wird von CDU, CSU, SPD und FDP geändert, das Asylrecht massiv eingeschränkt.
29.05.1993 Brandanschlag von Solingen, 5 Menschen sterben, 17 werden verletzt.
05.06.1993 Eine Woche nach dem tödlichen Brandanschlag von Solingen wird Feuer im Erdgeschoss des Hauses einer türkisch-stämmigen Familie in Hattingen/ NRW gelegt. Die Ermittlungsbehörden ermitteln gegen die türkisch-stämmige Familie, Frau Ü. wurde angeklagt, aber freigesprochen. Der/ die Täter wurden nie ermittelt.
16.03.1994 Bei einem Brandanschlag in Stuttgart auf das Haus Geißstr. 7, das von Nicht-Deutschen bewohnt wird, sterben 7 Menschen, weitere 16 werden – teils lebensgefährlich – verletzt. Auch hier wird zuerst gegen ehemalige Bewohner des Hauses ermittelt, ein rassistischer Hintergrund ausgeschlossen. Im Juli 1995 wurde im nahen Esslingen ein Brandstifter verhaftet, der zwischen Oktober 1993 und Juni 1995 mehrere Häuser mit nicht-deutschen Bewohner:innen angezündet hatte und sich auch zu der Tat von Stuttgart bekannte. Bei ihm wurden Bekennerschreiben mit Hakenkreuzen gefunden. Dennoch ging später das Gericht von einer psychischen Störung des Täters aus und schloss einen rassistischen/ politischen Hintergrund seiner Taten aus.
25.03.1994 Erster Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge.
08.05.1994 Annegret S., V-Frau der Lübecker Kripo, wird zum zweiten Mal durch Drogen- und Menschenhändler vergewaltigt.
07.05.1995 Zweiter Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge.
13.06.1995 Ein rechtsextremer Briefbombenanschlag richtet sich gegen den stellvertretenden Bürgermeister Lübecks, Dietrich Szameit, und verletzt den Fraktionsgeschäftsführer Thomas Rother.
05.07.1995 Maik W. schmiert Hakenkreuze auf dem Friedhof in Gülze/ MV.
24.10.1995 Safwan und Mohammed E. stellen am Flüchtlingheim Hafenstraße zwei Personen, die das Auto der Familie E. stehlen wollten. Es handelt sich um André B. und Maik E.
Ende Dezember 1995 Ende Dezember verüben Unbekannte einen Brandanschlag auf Annegret S.
Anfang Januar 1996 Der Grevesmühlener Maik W. erzählt seinem Freund Marcel R. er „wolle demnächst in Lübeck etwas anzünden“ oder er „habe in Lübeck etwas angezündet“.
18.01.1996 Um 3.41 Uhr meldet Francoise Makodila als erste Feuer in der Flüchtlingsunterkunft Hafenstraße. In den folgenden Stunden sterben 10 Menschen, weitere 39 werden zum Teil schwer verletzt. In den Morgenstunden werden Maik W., René B. und Heiko P., drei jugendliche Rechtsextremisten aus Grevesmühlen, festgenommen. Am Abend wird ihr Komplize Dirk T. festgenommen. Am gleichen Abend stellen LKA und Gerichtsmedizin fest, dass bei Maik W., Dirk T. und René B. „frische“ Sengspuren an Kopfhaar bzw. Augenbrauen vorliegen. Davon erfährt die Öffentlichkeit erst Anfang Juli.
19.01.1996 Die 4 Grevesmühlener werden frei gelassen.Rettungssanitäter Jens L. macht am Abend eine Aussage, die den Hausbewohner Safwan E. belastet. Safwan E. wird festgenommen, später wird U-Haft angeordnet. Noch am selben Abend erfolgt die Aussage von Gustave S., die Safwan E. entlastet.
20.01.1996 Annegret S. erkundigt sich bei der Polizei nach ihrem Freund Sylvio Amoussou, der in der Hafenstr. 52 wohnte. Mittags findet eine Demonstration von mehreren tausend Menschen in Lübeck statt, sie fordert u.a. das Bleiberecht für alle Hausbewohner:innen der Hafenstr. 52
23.01.1996 Polizei und Staatsanwaltschaft erlassen eine Nachrichtensperre zum Fall Hafenstraße.
24.01.1996 Die Illustrierte „Stern“ bringt einen reißerischen Artikel, in dem Safwan E. Eifersucht bzw. verschmähte Liebe als Tatmotiv unterstellt wird. Sämtliche Hausbewohner:innen weisen die unbelegten Spekulationen des Artikels scharf zurück.
29.01.1996 Die Leiche von Sylvio Ammoussou wird zur Einäscherung freigegeben, obwohl keine Todesursache festgestellt werden konnte.
01.02.1996 Eine Abhörmaßnahme gegen Safwan E. in der Zelle, in der er Besuch empfängt., beginnt. Sie dauert bis zum 29.2.
03.02.1996 Die Polizei erhält Kenntnis, dass Heiko P. ein Geständnis abgegeben haben soll.
01.03.1996 Brandopfer Victor Atoe wird abgeschoben.
01.03.1996 Die überlebenden Geflüchteten aus der Hafenstr. widersprechen auf einer Pressekonferenz den Thesen der Staatsanwaltschaft, es habe Streit im Haus gegeben, dies sei das Motiv Safwan E.’s für die Brandlegung.
07.03.1996 Auf einem Lübecker Friedhof werden Hakenkreuze geschmiert.
12.03.1996 Der Ermittelnde Staatsanwalt Dr. Michael Böckenhauer erhält die komplette Ermittlungsakte zum Brandanschlag Hafenstraße.
24.03.1996 Bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein entfällt auf die rechtsextreme Partei DVU landesweit 4,3% der Stimmen. In Lübeck beträgt ihr Ergebnis 6,17%.
25.03.1996 Rechtsanwältin Gabriele Heinecke wird zusätzlich zum bereits beauftragten Anwalt Wolter mit der Vertretung Safwan E.’s betraut.
19.04.1996 TV-Beitrag des WDR-Magazins Monitor, in dem ein Gutachter wesentlichen Thesen der Staatsanwaltschaft zum Brandausbruchsort widerspricht.
22.04.1996 Eine Internationale Untersuchungskommission/ IUK zum Fall Hafenstraße konstituiert sich.
08.05.1996 Die Ermittlungen gegen die 4 Grevesmühlener werden ein erstes Mal eingestellt. Im Juli werden sie erneut befragt, woher ihre Sengspuren stammen.
23.06.1996 Erste Erklärung der IUK
02.07.1996 Nach viereinhalb Monaten kommt Safwan E. aus der U-Haft frei.
02.07.1996 Zweite Erklärung der IUK
11.07.1996 Erst jetzt, durch Recherchen des WDR-Magazins Monitor, erfährt die Öffentlichkeit von den Sengspuren bei 3 der 4 Grevesmühlener.
24.07.1996 Durchsuchungen und Beschlagnahmungen beim Lübecker Bündnis gegen Rassismus. Am gleichen Tag brennt es in einem Lübecker Studentenwohnheim. Ein nicht-deutscher Student stirbt.
01.08.1996 René B. wird zusammengeschlagen. Er hatte vorher belastende Aussagen gegen Dirk T. gemacht.
01.08.1996 Zwischenbericht der IUK
02.08.1996 Versuchter Brandanschlag auf das türkische Restaurant Marmara in Lübeck. Der Täter hinterlässt Hakenkreuz-Sprayereien, flieht aber unter Zurücklassen ungezündeter Brandsätze.
14.08.1996 Die Ermittlungen gegen die 4 Grevesmühlener werden wieder eingestellt.
16.09.1996 Der erste Prozess gegen Safwan E. beginnt. Er dauert bis zum 30.6.1997 und umfasst 59 Prozesstage.
20.12.1996 Maik W. bekennt sich gegenüber einem Ladenbesitzer, den er zuvor bestohlen hatte, zum Brandanschlag in Lübeck.
16.01.1997 Mehrere Hakenkreuzschmierereien in Lübeck, darunter auch an der Kirche, in der ein Gedenkgottesdienst für die Opfer aus der Hafenstraße stattfinden sollte.
23.02.1997 Rechtsterrorist Kay Diesner erschießt in der Nähe von Lübeck einen Polizisten. Zuvor hatte er in Berlin einen Buchhändler angeschossen.
27.02.1997 Hakenkreuze und Brandstiftung am Gartenhaus des Lübecker Bischof Kohlwage.
07.05.1997 Dritte Erklärung der IUK
24.05.1997 Nazis mobilisieren ihre Anhängerschaft gegen Pastor Harig, dessen Lübecker Gemeinde einer algerischen Familie Kirchenasyl gewährt. In den folgenden Wochen und Monaten gibt es eine Vielzahl von Hakenkreuzschmierereien an kirchlichen Einrichtungen und mehrere Brandanschläge. Die Kirche St. Vicelin in Lübeck wird dabei fast völlig zerstört.
30.06.1997 Safwan E. wird vom Lübecker Landgericht freigesprochen
01.12.1997 Die Brandruine wird abgerissen.
Januar 1998 Der „NSU“ taucht in den Untergrund ab.
22.02.1998 Maik W. gesteht erneut den Brandanschlag von Lübeck, diesmal vor einem Mitarbeiter einer JVA.
23.02.1998 Maik W. legt vor StA Dr. Böckenhauer und einem Kriminalbeamten ein Geständnis ab, widerruft es aber wieder im gleichen Gespräch.
14.03.1998 Über 400 Festnahmen von Antifaschist.innen durch die Lübecker Polizei bei Protesten gegen einen Naziaufmarsch in Lübeck. Dutzende Antifaschist:innen werden verletzt.
25.06.1998 Die Neufassung des Asylbewerberleistungsgesetzes wird im Bundestag beschlossen. Es beinhaltet die mögliche vollständige Streichung von Sozialhilfe, die von Asylbewerbern bezogen oder beantragt wurde.
13.07.1998 Gegenüber einem Journalisten des SPIEGEL gesteht Maik W. die Tat erneut.
16.07.1998 Vierte Erklärung der IUK
24.07.1998 Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe lässt die Revision des Prozesses gegen Safwan E. zu.
18.01.1999 Den Überlebenden des Brandanschlages wird ein dauerhaftes Bleiberecht zugesichert.
23.06.1999 Der „Nationalsozialistische Untegrund“ (NSU) begeht seinen ersten ermittelten Anschlag, ein Rohrbombenattentat in Nürnberg.
03.09.1999 Der zweite Prozess gegen Safwan E. beginnt vor dem Landgericht Kiel.
02.11.1999 Im 2. Strafprozess gegen Safwan E. erfolgt ein erneuter Freispruch.
03.01.2000 Rechtsanwältin Gabriele Heinecke legt Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen gegen die 4 Grevesmühlener ein. Die Generalstaatsanwaltschaft in Schleswig lehnt wenig später die Beschwerde ab.
20.05.2000 Ein dauerhafter Gedenkstein wird am Ort des Brandanschlages errichtet.
09.09.2000 Die sog. Ceska-Mordserie des „NSU“ beginnt mit der Erschießung des Blumenhändlers Enver Şimşek. Bis zum 25. April 2007 ermordet der „NSU“ 9 weitere Menschen und verletzten Dutzende weitere. Die Ermittlungsbehörden vermuteten jahrelang die Täter im Umfeld der Opfer bis ein missglückter Raubüberfall zufällig zu den drei Haupt-Tätern Uwe Bönhard, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe führte. Wie weit das tatsächliche Netzwerk des NSU reichte, wurde bislang nicht abschließend aufgeklärt.
15.05.2002 Rechtsanwältin Gabriele Heinecke reicht ein Klageerzwingungsverfahren gegen die 4 Grevesmühlener ein.
10.06.2002 Das Oberlandesgericht Kiel verwirft den Antrag auf Klageerzwingung.
Ende 2012 Ende 2012 wird bekannt, dass der Besitzer der Shell-Tankstelle, die für das Alibi der 4 Grevesmühlener eine große Rolle spielt, ein gewisser Robert K., selber mindestens familiäre Kontakte in die rechtsextreme Szene hat. Sein Sohn Florian K. bewegt sich im Umfeld der „Freien Nationalisten Lübeck“ und später der „Autonomen Nationalen Sozialisten Stormarn“. Robert K. verkauft in seinen Tankstellen die NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“.
18.01.2013 In der Nacht vom 17. auf dem 18. Januar 2013 wird der Gedenkstein bei der ehemaligen Brandruine in der Hafenstraße von Rechten geschändet.
10.11.2018 Der Gedenkstein bei der ehemaligen Brandruine wird u.a. mit SS-Runen geschändet.

Die Brandnacht

0.00 Uhr oder kurz danach Die 4 Grevesmühlener fahren laut eigenen Angaben von Grevesmühlen nach Lübeck.
Kurz nach 0.00 Uhr Annegret S. telefoniert mit Sylvio Amoussou
Ca. 1.45h Ein Zeuge sieht eine Person, deren Beschreibung auf Maik W. passt. Die Person hat ein Beil in der Hand und bewegt sich mit anderen Personenh Richtung Hafenstraße.
ca. 2.00 Uhr Die 4 Grevesmühlener stehlen in der Korvettenstraße/ HL einen VW-Golf GTI, Die Uhrzeit entstammt ihren eigenen Aussagen.
2.00 – 2.30 Uhr Zwei Zeugen beobachten eine Art Wettrennen zwischen einem VW-Golf GTI und einem Wartburg. Beide Fahrzeuge seien diachtauf mit hoher Geschwindigkeit die Untertrave Richtung Hafenstraße gefahren.
Ca. 2.30 -2.40 Uhr Drei Männer werden am Hauptbahnhof gesehen, die Beschreibung passt auf die Grevesmühlener.
2.45 Uhr Feuerwehr-Leute sehen 3 Männer in der Nähe der Wohnung von Annegret S. Die Beschreibung passt auf René B, Heiko P. und Maik W.
3.19 Uhr An der Shell-Tankstelle Paddelügger Weg tanken 3 Männer einen Wartburg auf. Nur eine Personenbeschreibung passt zu den 4 aus GVM.
3.19 Uhr Im Restaurant „Schiffergesellschaft“ (Breite Straße) wird Feueralarm ausgelöst. Es handelt sich um einen Fehlalarm, dessen Ursache nicht zu ermitteln war.
Ca. 3.30 Uhr Die Polizeibeamten B. und N. (Trave 2/12)sehen einen beigefarbenen Wartburg an der Shell-Tankstelle Paddelügger Weg und drei Personen.
3.41 Uhr Francoise Makodila setzt den ersten Notruf aus dem Haus Hafenstr. 52 ab. Sie stirbt oder wird bewusstlos noch während des Anrufes.
Vor 3.42 Uhr Angehörige der Familien B., E, und A. aus dem Brandhaus flüchten auf das Dach.
vor 3.42 Uhr Zwei Zeugen Ronny B. und Mike P., die im nahnen Berufsbildungswerk wohnen, treffen am Brandhaus ein. Sie sehen Ahmet E. Richtung Telefonzelle laufen und den Eingangsvorbau brennen.
3.42 Uhr Der vorher aus dem Haus entkommene Ahmed E. setzt den 2. Notruf aus einer Telefonzelle ab.
Vor 3.45 Uhr Trave 2/12 überholt auf ihrer Fahrt zum Brandort einen beigefarbenen Wartburg mit GVM-Kennzeichen vor der Hubbrücke.
vor 3.46 Uhr Monica Bunga und ihre Tochter versuchen sich aus dem brennenden Haus durch eine Sprung aus dem 3. OG zu retten. Frau Bunga stirbt sofort, ihre 7-jährige Tochter keine 24 Stunden später.
vor 3.46 Uhr Drei Mitarbieter der Firma Brüggen treffen am Haus ein, sehen Monica Bunga und ihre Tochter sowie 3 der vier GVM’ler; zu diesem Zeitpunkt sei keine Polizei/ Rettungskräfte vor Ort gewesen.
3.46 Uhr Eine Streife des Bundesgrenzschutz (Florett 77/92 mit den Beamten B. und S.) melden Verletzte am Haus. Zwei weitere Streifen (Trave 90/51 und Trave 1/11) treffen benfalls am Tatort ein.
3.47 Uhr Das erste Fahrzeug der Feuerwehr trifft ein.
3.47 Uhr Rettungskräfte berichten, dass sich noch Personen im 1. OG aufhalten.
3.51 Uhr Das Sprungkissen wird aufgeblasen.
3.55 Uhr Heiko P., René B. und Maik W. werden am Brandhaus von der Polizei kontrolliert. Maik W. gibt falsche Personalien an.
3.55 Uhr Ca. um diese Zeit wird Assia El O. wird über die Drehleiter aus dem Haus gerettet.
Ca. 4 Uhr Das Zimmer der älteren Kinder Makodila zündet durch.
Ca. 4.30 Uhr Ein Zeuge sagt aus, dass er um diese Uhrzeit Dirk T. in GVM getroffen habe.
Ca. 5 Uhr Die ersten Schwerverletzten werden ins Krankenhaus gebracht
Vor 5.30 Uhr Safwan E. berichtet u.a. dem Kriminalbeamten M, dass sein Vater eine Bombe gehört und danach Feuer am/ im Eingangs-Vorbau des Hauses gesehen habe.
5.30 Uhr Der Bus mit den leichter Verletzten fährt ins Krankenhaus Travemünde/ Priwall.
Nach 7.00 Uhr Heiko P., René B. und Maik W. werden in GVM festgenommen.
Ca. 17 Uhr Dirk T. wird von der Polizei aufgesucht, jedoch vorerst nicht festgenommen.
Ca. 22 Uhr Einem LKA-Beamten fällt während einer Vernehmung auf, dass Maik W. versengte Haare hat.
Ca. 22.20 Uhr Dirk T. wird in GVM festgenommen.
Ca. 0.00 Uhr Die Gerichtsmedizin nimmt von 3 der GVMler Haarproben.

Die Opfer

Todesopfer

Monica Maiamba Bunga

Geboren am 12.11.1968 in Luanda/ Angola.

Starb im Alter von 27 Jahren durch multiple Verletzungen in Folge eines Sprungs aus dem 3. OG des Brandhauses.

Nsuzana Bunga

Geboren am 25.9.1988 in Luanda/ Angola.

Starb im Alter von 7 Jahren durch multiple Verletzungen in Folge eines Sprungs aus dem 3. OG des Brandhauses.

Rabia El Omari

Geboren am 1.12.1978 in Beirut/ Libanon.

Starb im Alter von 17 Jahren durch Rauchgasvergiftung.

Francoise Makodila Landu

Geboren am 28.3.1962 in Kinshasa/ Zaire.

Starb im Alter von 33 Jahren durch Rauchgasvergiftung bzw. direkte Brandeinwirkung.

Christelle Makodila Nsimba

Geboren am 16.1.1988 in Kinshasa/ Zaire.

Starb im Alter von 8 Jahren durch Rauchgasvergiftung.

Legrand Makodila Mbongo

Geboren am 11.8.1990 in Lübeck/ Deutschland.

Starb im Alter von 5 Jahren durch Rauchgasvergiftung.

Christine Makodila

Geboren am 24.9.1978 in Kinshasa/ Zaire.

Starb im Alter von 17 Jahren durch Rauchgasvergiftung.

Miya Makodila

Geboren am 18.5.1981 in Kinshasa/ Zaire.

Starb im Alter von 14 Jahren durch Rauchgasvergiftung.

Jean-Daniel Makodila Nkosi

Geboren am 12.5.1992 in Lübeck/ Deutschland.

Starb im Alter von 3 Jahren durch Rauchgasvergiftung.

Sylvio Bruno Comlan Amoussou

Geboren am 5.11.1968 in Cotonou/Togo.

Starb im Alter von 27 Jahren. Die Todesursache wurde nicht abschließend ermittelt.

Verletzte

38 weitere Personen, die sich während des Brandes im Haus aufgehalten hatten, wurden verletzt. Mindestens 10 der physischen Verletzungen sind als schwer einzustufen: Dabei handelt es sich um z.T. komplizierte Brüche der Gliedmaßen und Verletzungen der Wirbelsäule. Fast alle ehemaligen Bewohner:innen erlitten zudem Rauchgasvergiftungen.

Noch Jahre nach dem Brand klagten Überlebende über psychische Beschwerden.

Der Tatverdacht gegen die vier Grevesmühlener

Überblick

Die „vier Grevesmühlener“ (René B., Heiko P., Maik W. und Dirk T.) wurden am Tag nach der Brandnacht festgenommen, verhört und galten für die Ermittlungsbehörden bis zum 19. Januar als tatverdächtig.

Alle 4 haben sich in der Brandnacht in Lübeck aufgehalten, nach ersten eigenen Angaben jedoch lediglich, um einen PKW zu stehlen (was sie auch taten). Drei von ihnen (René B., Heiko P., Maik W.) wurden ca. 3.55 Uhr in unmittelbarer Nähe zum Brandhaus von der Polizei kontrolliert.

Am 19. Januar wurden sie auf freien Fuß gesetzt, weil sie laut StA über ein Alibi für die Tatzeit verfügten.

Offiziell das erste Mal eingestellt wurden die Ermittlungen gegen die vier am 8. Mai 1996; aufgrund neu auftauchender Indizien gab es zu verschiedenen späteren Zeitpunkten Nachermittlungen.

Bis zum heutigen Tag behaupten die Ermittlungsbehörden, dass die vier die Tat nicht begangen haben könnten weil sie a) zum Zeitpunkt des Brandausbruches sich nicht in Tatortnähe aufgehalten hätten und b) ein Brandanschlag von außen auf das Haus ausgeschlossen sei.

Beide Behauptungen wurden von der Verteidigung Safwan E.‘s, nachforschenden antifaschistischen Gruppen und Journalist:nnen vehement bestritten.

Der Tatverdacht gegen sie gründet auf

  • der Tatsache, dass drei von ihnen frische Sengspuren an Kopfhaar bzw. Augenbrauen aufwiesen
  • ihre eigenen Aussagen auf Täterwissen schließen lassen
  • es eine Zeugenaussage gibt, nach der Maik W. die Tat gegenüber dem Zeugen angekündigt hat
  • Heiko P. einmal und Maik W. mehrmals Geständnisse abgelegt haben
  • ihre widersprüchlichen Aussagen bezüglich ihres Weges durch Lübeck verdächtig sind und sich auch mit der anfänglich versuchten Vertuschung des Autodiebstahls nicht zu erklären sind
  • ihre Erklärung für die Ursache der Sengspuren unglaubwürdig bzw. nachweislich falsch sind
  • Ihr rechtsextremer Hintergrund ein Motiv darstellt

Der persönliche Hintergrund und eine mögliche Motivlage

René B.

Wurde 1969 in Grevesmühlen geboren und lebte dort auch 1996, Sonderschulbildung. Er besaß 1996 einen beigefarbenen Wartburg mit auffälliger weiß-gelber Beschriftung der Heckscheibe („Dr. med. Bummi Bärmeister“).

Sonderschulbildung, arbeitete als Maurergehilfe und Entroster, mehrere Vorstrafen wegen Diebstahlsdelikten und Körperverletzung. Besaß CDs der „Böhsen Onkelz“.

Auf die Frage nach seiner politischen Anschauung, sagt er aus, dass er „weder links noch rechts“ sei, er habe nur ein Mal – noch zu DDR-Zeiten – gewählt und sei „neutral gegenüber Juden, Negern, Ausländern oder auch Wessis“.

1996 Skinhead-ähnliches Äußeres.

Heiko P.

Wurde 1973 in Grevesmühlen geboren und lebte 1996 in Zarnewenz/MV (bei seinen Eltern).

Wohnte 1993 eine Zeitlang in Lübeck.

Arbeitete als Schlosser und Gabelstaplerfahrer.

Wurde wegen gemeinsam mit B. begangener Diebstähle verurteilt.

Brandanschläge auf Asylbewerberheime kritisiert (?) er mit den Worten, dass dadurch „deutsches Gut“ versaut werde.

1996 Skinhead-ähnliches Äußeres.

Dirk T.

Wurde 1973 in Grevesmühlen geboren und wohnte dort auch 1996.

Hauptschulbildung, machte (teilweide abgebrochene) Ausbildungen zum Tischler und Maurer, arbeitet auch als Schlosserhelfer, im Stahlbau und im Garten-/Landschaftsbau.

Zusammen mit Maik W. hat er Laubenaufbrüche und Diebstähle begangen.

Laut eigener Aussage „rechts von der Grenzöffnung bis 1993“ und war mit „seiner Gruppe in Rostock dabei“. Gemeint sind hier die rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen im August 1992.

1996 längere, teilweise zum Zopf gebundene Haare. Kein Erscheinungsbild, das damals als eindeutig und typisch für rechtsextreme Ansichten gilt.

Maik W.

1978 in Güstrow geboren, 1996 zwar in Laage-Kronskamp gemeldet, tatsächlicher Aufenthalt aber in Grevesmühlen, bei Kerstin B., der Freundin von Dirk T.

Spitzname „Klein Adolf“, abgebrochene Maurerlehre.

Diverse Ermittlungsverfahren und Vorstrafen, u.a. wegen Friedhofsschändung (Hakenkreuze und satanische Symbole), Raub, Diebstahl. Diverse Heimaufenthalte.

Bereits 1994 in rechtsextremen Kreisen tätig, damalige Heimbetreuer:innen und -mitwohnende sagen aus, dass W. gut im Knüpfen von Kontakten war.

1995 versuchte er, Mitglied der NPD zu werden. Hielt sich seit dieser Zeit auch mehrmals in Lübeck auf.

1996 besaß er eine Jacke mit der Aufschrift „Deutschland – Sieg Heil“ und in seinem Zimmer hing eine Reichskriegsflagge.

1996 für Rechtsextremisten szene-typische Frisur und Kleidung.

Aufenthalt in Lübeck/ Anwesenheit am Tatort

Dirk T., Heiko P., Maik W. und René B. sagten aus, dass sie zu viert aus Grevesmühlen nach Lübeck (0.00 Uhr oder kurz danach) gefahren sind, gegen 2.00 Uhr in der Korvettenstraße einen VW Golf GTI gestohlen haben und seitdem getrennt unterwegs waren: Dirk T. in dem Golf, die anderen drei weiter im Wartburg.

Mit 100%iger Sicherheit steht nur fest, dass Heiko P., Maik W. und René B. um 3.55 Uhr schräg gegenüber des brennenden Flüchtlingsheimes am/ im beigen Wartburg des René B. waren und von Polizeibeamten kontrolliert worden sind. Maik W. gab bei der Personalienfeststellung einen falschen Nachnamen („Müller“) an.

Alle anderen Angaben zu Aufenthaltsorten und Zeitpunkten sind nicht eindeutig erwiesen, da sie entweder lediglich auf Aussagen der GVMler selber beruhen oder es widersprüchliche Zeug:innenaussagen dazu gibt.

Die uns vorliegenden Aussagen, die sich entweder eindeutig auf die GVMler beziehen oder sich beziehen könnten, sind in folgender Tabelle aufgelistet:

Tabellarische Auflistung der Zeug:innenaussagen nach Uhrzeit

Zeit/Ort Aussagende/r und Aussage
Gegen 0.00 Uhr, Lübeck Maik W.: In Lübeck angekommen, danach wahllos in der Stadt herumgefahren.
Ca. 1.00 Uhr Heiko P.: Im Bogen um die Innenstadt herum nach Buntekuh gefahren. Den Wartburg auf dem Parkplatz EKZ Buntekuh geparkt, dann in der Korvettenstraße Reifen abmontiert und für eine spätere Abholung bereitgestellt. Dann hätten Maik und Dirk in der Karavellenstraße einen Golf geklaut, mit dem Dirk weggefahren sei.
nach 01.10 Uhr kurz vor Ausfahrt Schlutup Zeuge Taxifahrer K.: Wartburg Milchkaffeefarben; auf Rückbank 2 Personen, Person hinter Fahrer sehr groß
ca. 1.45 Uhr, An der Untertrave Zeuge F.: Sieht einen Mann, der ein Beil aufhebt und sich mit einer Gruppe von Leuten Richtung Hafenstraße entfernt. Die Personenbeschreibung passt exakt zu Maik W., ein auffälliger Rucksack wird genannt.
Ca. 2.00 Uhr, ein Parkplatz in HL-Buntekuh Maik W.: Geparkt, Musik gehört, will von zwei Polizisten gesehen worden sein.
2.00 – 2.30 Uhr, An der Untertrave Zeugen V. und M.: Ein Wartburg und ein Golf GTI fahren mit sehr hoher Geschwindigkeit in Richtung Hafenstraße. Im Golf haben 3 Personen gesessen, im Wartburg mehr als 3 Personen. Die Scheiben waren herunter gekurbelt, Getränkedosen seien heraus gehalten worden. Die Personen hätten gejohlt.
Ca. 2.30 Uhr, Hbf Zeuge Taxifahrer N.: Heller, dreckiger Wartburg, Auffälliger Auspuffqualm, GVM-Kennzeichen; 3 Personen: 1) 20-21 Jahre, 175-180 cm, groß, untersetzt, bräunliche, kurze Haare 2) 17-18 Jahre, ca. 170 cm, normal/schlank, gepflegte braune bis dunkelbraune Haare 3) 17-18 Jahre, normale blonde bis dunkelblonde Haare, ca. 170 cm, normal/schlank. Kamen aus „Café Belmondo“, redeten laut und lachten, hielten sich ca. 10 Minuten im Bahnhof auf.
2.45 Uhr, Wesloer- Ecke Mecklenburger Str. Zeuge FW-Wachleiter H.: Heller PKW mit GVM-Kennzeichen; 3 männliche Personen, rauchend.
2.45 – 3.00 Uhr, Shell-Tankstelle Padellügger Weg Heiko P.: Mit René und Maik getankt.
Nach 2.45 – 3.00 Uhr, Hbf. Heiko P.: Mit René und Maik am Bahnhof nach Dirk gesucht. Anschließend zur Hafenstraße gefahren.
3.00 – 3.30 Uhr, Hbf. Zeuge Taxifahrer G.: 3 junge Männer, einer größer und dicker, alle hielten Bierdosen
ca. 3.20 Uhr, Shell-Tankstelle Padellügger Weg Zeuge Tankwart G.: Beiger Wartburg, GVM-Kennzeichen; 3 Personen. 1) Fahrer, 180 cm, kurze Haare mit längeren Haaren im Stirnbereich, dunkle Jacke mit Aufdruck, an einer Hand einen Totenkopfring. 2) Beifahrer: ca. 170 cm, dicker als der Fahrer. 3) Grüne Jacke, helle Haare, der kleinste der Gruppe.
Keine Zeitangabe, Shell-Tankstelle Padellügger Weg Zeuge Zeitungszusteller B.: Beigefarbener Wartburg mit auffälliger gelber Beschriftung auf der Heckscheibe und 3 männliche Personen
ca. 3.30 Uhr, fahrend vom Burgtor durch die Breite Straße, dann Untertrave Richtung Hafenstraße Zeuge Taxifahrer N.: Erneute Sichtung des qualmenden Wartburg.
3.30 Uhr, Shell-Tankstelle Padellügger Weg Zeugen Streife Trave 2/12: Streifenbesatzung sieht drei jüngere, männliche Personen bei beigem PKW Wartburg mit einem größeren, weißen Werbeaufdruck.
Ca. 3.32 Uhr, Shell-Tankstelle Padellügger Weg Maik W.: Getankt und Wischwasser aufgefüllt.
Nach 3.32 Uhr, Hbf. Maik W.: „Einen Kumpel von Heiko gesucht“, parkten „direkt am Taxistand“
3.45 – 4.00 Uhr, Kurve A.d. Untertrave/ Kanalstr. aus Richtung Hafenstr. Zeuge Taxifahrer N.: Erneute Sichtung des zuvor beschriebenen Wartburg
Vor 3.46 Uhr, Nähe Brandhaus Zeugen R. und O. (Mitarbeiter Fa. Brüggen): Beim Herauslaufen aus dem Fabriktor sähen sie einen Wartburg mit GVM-Kennzeichen und 3 junge Männer, „optisch wie Skins“, weiterhin relativ genaue Personenbeschreibung. Zu diesem Zeitpunkt seien keinerlei Rettungskräfte vor Ort gewesen.
vor 3.46 Uhr, Vor der Hubbrücke Richtung Hafenstraße Zeugen Streife Trave 2/12: Überholen einen beigen Wartburg mit GVM-Kennzeichen
3.55 Uhr, in unmittelbarere Nähe des Brandhauses Zeugen Streife Trave 90/51: Kontrolle des Wartburg mit 3 Männern: Maik W., René B. und Heiko P.
Ca. 3.55 Uhr Maik W.: Auf der Rückfahrt nach GVM zum Brandhaus gelangt, dort den Löscharbeiten kurz zugesehen.
Ca. 4.30 Uhr, Grevesmühlen Zeuge Sch.: Der Zeuge trifft auf Dirk T. in Grevesmühlen
Keine Zeitangaben René B.: Nach erfolgtem Diebstahl des Golf in Buntekuh über die A1 Moisling nach Schlutup gefahren, dort Dirk nicht angetroffen, gleiche Strecke zurück. Detaillierte Schilderung des Tankens und des danach stattgefundenen Aufenthalts am Bahnhof, Parken hinter den Taxen. Aufenthalt auf einem Parkplatz in einer Seitenstraße der breiten, beleuchteten Straße, die nach GVM führt, kurz vor einem Kreisverkehr. Dort Verlassen des Fahrzeugs.

Diese Aussage wird von René B. widerrufen (das „habe er erfunden, er kenne sich in Lübeck überhaupt nicht aus“), als ein Polizeibeamter ihn darauf aufmerksam macht, dass er den Parkplatz Jerusalemsberg beschreibt, 600m vom Brandhaus entfernt.

Dirk T.: Heiko und Maik hätten den Golf geknackt, er sei dann mit dem Golf alleine weggefahren. In HL verfahren, am Lindenteller wieder die Orientierung gehabt und über die Umgehungsstraße nach GVM, nicht über Schlutup und die Autobahn.

Ergänzende Informationen zu den Aussagen

Die Ermittlungsbehörden haben zu keinem Zeitpunkt eine Gegenüberstellung der vier Verdächtigen mit den Zeug:innen vorgenommen, auch nicht mit dem Tankwart und der Streifenbesatzung Trave 2/12.

Über das Aussehen der Grevesmühlener ist folgendes bekannt:

René B.: 187cm groß, Gewicht 100 kg, fettleibig, Haare sehr kurz, über der Stirn lang.

Heiko P.: 187 cm groß, Gewicht 115 kg, fettleibig. Kurze, dunkelblonde Haare.

Maik W.: 177 cm groß, Gewicht 65 kg, sehr kurze Haare, auf der Oberseite blond gefärbt.

Dirk T.: 182-185 cm groß, Gewicht ca. 90 kg, lange Haare, zum Pferdeschwanz gebunden.

Auffällig ist:

  • Maik W. und René B. sagen übereinstimmend aus, sie erst an der Tankstelle gewesen, erst dann wären sie zum Bahnhof gefahren und hätten dort hinter den Taxen, direkt am Taxistand geparkt. Die genaueste Aussage eines der Taxifahrer („N.“), der seine Zeitangabe mit dem Warten auf den Nachtzug aus Hamburg verbindet und eine recht genaue Personenbeschreibung abliefert, setzt den Aufenthalt der GVMler auf 2.30h fest, an der Tankstelle Padellügger Weg wurde der Wartburg aber 3.20-3.30h gesichtet. Weitere Taxifahrer wollen die GVMler am Bahnhof gesehen haben, während diese sich an der Tankstelle aufgehalten haben wollen. Weiterhin deuten die Aussagen der Taxifahrer darauf hin, dass der Wartburg wahrscheinlich am Busparkplatz („Beim Retteich“) geparkt hat.
  • Während einigen Zeugen die Beschriftung auf der Heckscheibe des Wartburg auffällt, bemerken andere diese auffällige Beschriftung nicht.
  • Zeug:innen geben unterschiedliche Personenbeschreibungen ab (Tankwart G. gibt Beschreibungen ab, die gut zu René B. und einigermaßen zu Maik W. passen, aber nicht zu Heiko P.). Andere Zeug:innen sehen Wartburg und GTI (2.00h-2.30h auf der Straße An der Untertrave) noch zusammen, als nach Darstellung der GVMler Dirk T. von den drei anderen bereits gesucht wurde. Diese Zeug:innen sehen auch klar mehr als 4 Personen.
  • In ihren Aussagen konzentrieren sich die Grevesmühlener auf die Stationen Tankstelle und Bahnhof, schildern diese besonders detailliert. Dies ist vor dem Hintergrund des späteren Geständnis des Maik W. besonders interessant, führt W. ja dort aus, man habe sich an beiden Orten absichtlich auffällig benommen, um später ein Alibi zu haben.

Ein Kassenbeleg der Shell-Tankstelle Padellügger Weg weist die Uhrzeit 3.19h für den Kauf von 5 Litern Benzingemisch und einer Cola aus. Inwieweit die Kassenuhr die tatsächliche Uhrzeit anzeigte, wurde nie überprüft.

Stellt man den von den Grevesmühlenern selbst behaupteten Fahrtweg einer Route, die sich aus den Zeug:innenbeobachtungen ergibt, gegenüber, sind erhebliche Unterschiede festzustellen.

Die räumliche und zeitliche Abfolge laut den ursprünglich Tatverdächtigen sähe wie folgt aus: Grevesmühlen – Ankunft HL ca. 1.00h – im weiten Bogen um die Innenstadt nach Buntekuh – dort Reifendiebstahl Karavellenstraße und Diebstahl des Golf GTI um ca. 2.00h in der Korvettenstraße – Trennung in Besatzung Wartburg (René B, Heiko P. und Maik W.) und Dirk T., der mit dem Golf sich erst in Lübeck verfährt, dann vom Lindenteller aus direkt nach GVM zurück fährt – der Wartburg fährt die Tankstelle Padellüger Weg an – über die A1 nach Schlutup – zurück über die A1 zum Hauptbahnhof – auf Rückweg nach GVM zur Hafenstraße und dortige Kontrolle durch die Polizei, als das Haus bereits brannte.

Die Zeug:innensichtungen ergeben die Route Buntekuh – Bahnhof (mindestens der Wartburg) um ca. 2.30h oder kurz davor – Untertrave (Golf und Wartburg!) – Schlutup (nur Wartburg, ca. 2.45h) – Tankstelle Padellügger Weg, ca. 3.20h – Breite Str. aus Fahrtrichtung Burgtor/ Hafenstraße, ca. 3.30h – Beckergrube – Untertrave – Hubbrücke, vor 3.46h – Hafenstraße (Kontrolle ca. 3.55h).

Daraus ergeben sich folgende Fragen und Hypothesen:

  • Die Grevesmühlener müssen danach mindestens zwei Mal vor Brandausbruch in direkter Nähe des Tatortes gewesen sein: Das erste Mal um ca. 2.30h (nach Sichtungen Bahnhof und Untertrave und vor der Sichtung Schlutup um ca. 2.45h); dabei müssen sie mindestens zu viert gewesen sein, weil Wartburg und Golf gesichtet wurden, wobei bei der Sichtung Untertrave die Zeug:innen von 3 Personen im Golf und mehr als 3 im Wartburg berichtet. Ein weiteres Mal war mindestens die Wartburg-Besatzung nach Sichtung Tankstelle um ca. 3.30 in der Nähe des Burgfeldes/ Burgtores.
  • Die Aussage des René B., man habe das Auto auf dem Parkplatz Jerusalemsberg verlassen (die er, als ihm die Nähe zum Haus Hafenstraße verdeutlicht wurde, zurückzog) wirft die Frage auf, ob dieser Parkplatz nach der Sichtung Golf und Wartburg an der Untertrave aufgesucht wurde und sich beide Fahrzeugbesatzungen dort vorübergehend trennten.
  • Wenn es keine Trennung zwischen Dirk T. und den anderen drei direkt nach dem Diebstahl des Golf gab, wo hielt sich Dirk T. zwischen ca. 2.30 und 4.30H (als er von einem Zeugen in Grevesmühlen gesehen worden sein soll) auf? Es drängt sich die Möglichkeit auf, dass Dirk T. den späteren Anschlag vorbereitet hat.

Übersichtskarte zum Aufenthalt der Grevesmühlener Nazis in Lübeck

Hochauflösende Karte: 4.000 x 2.544 px – JPG – 4.68 MB

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Erklärung zur Karte

Wann trafen die Grevesmühlener am Brandhaus ein?

  • Zwei Mitarbeiter der Firma Brüggen sagten im 1. Prozess übereinstimmend aus, dass sie einen gegenüber ihres Fabriktores parkenden Wartburg und drei junge Männer in direkter Nähe des Brandhauses gesehen haben, bevor Polizei und Feuerwehr eingetroffen waren. Später hätte dann eine vierte Person mit den drei jungen Männern gesprochen. Der eine Brüggen-Mann sei davon ausgegangen, dass es sich dabei um einen Beamten oder eine Beamtin der Polizei gehandelt habe. Allerdings wäre diese Person zivil gekleidet gewesen und hätte eine blonde Pferdeschwanz-Frisur gehabt.
  • Ein Rangierarbeiter sagte aus, dass er um ca. 3.20h einen dunkel gekleideten, jüngeren, hellhäutigen Fußgänger in der Nähe gesehen habe, der ca. 175 cm groß gewesen sei. Fünf Minuten später habe ein am Hafengelände, in Fahrtrichtung Travemünder Allee geparkter PKW zwei Mal Lichthupensignale gegeben.
  • Während die Funkstreifenbesatzung Trave 90/51 später (im 1. Prozess) aussagte, der Wartburg mit den Grevesmühlenern sei erst am Brandhaus eingetroffen, als die Streife vor Ort war, hieß es noch im ersten schriftlichen Bericht der Streifenbesatzung, „beim Verlassen unseres Wagens fielen uns folgende Personen auf…“, was im Wortsinne bedeutet, die Personen (die Grevesmühlener) waren bereits vor Ort, als Trave 90/51 eintraf.
  • Zusätzlich machten die Grevesmühlener Beobachtungen, die sich nur auf Ereignisse beziehen können, die vor dem ersten Eintreffen von Rettungskräften stattgefunden haben können (siehe Abschnitt Täterwissen)

Kriminaltechnische Spuren

Die Sengspuren bei Maik W., René B. und Dirk T.

Bereits am späten Abend nach dem Brand – gegen 22 Uhr am 18. Januar – fiel einem LKA-Beamten auf, dass Maik W. Versengungen am vorderen Bereich des Kopfhaares und an den Augenbrauen aufwies. Gegen Mitternacht wurden alle vier Grevesmühlener gerichtsmedizinisch untersucht. Ähnliche Versengungen wie bei Maik W. wurden auch bei Dirk T. und René B. festgestellt. Nur bei Heiko P. wurden diese Spuren nicht festgestellt. Die Versengungen wurden von der Gerichtsmedizin als „frisch“ bezeichnet. Es seien die typischen Spuren von Brandstiftern.

In einer später erfolgten Ergänzung konkretisierte die Gerichtsmedizin die Bezeichnung „frisch“. Danach seien die Sengspuren maximal 24 Stunden alt gewesen.
Befragt, wie diese Versengungen zustande gekommen seien, wurde anfangs nur Maik W. Der gab an, er habe am 14. Januar zusammen mit Dirk T. einem Hund das Fell versengt. Dazu hätten die beiden den Sprühstrahl einer Haarspray-Dose angezündet und diesen auf den Hund gehalten. Die Flammen seien zurückgeschlagen und dadurch hätte er sich versengt.

Die Öffentlichkeit erfuhr von den Sengspuren erst Anfang Juli.

Bei wesentlich späteren Befragungen gab Dirk T. anfangs an, er wisse nichts darüber, mit Maik W. einen Hund verbrannt zu haben. Stattdessen will er sich beim Anheizen seines Ofens die Versengungen zugezogen haben.

René B. wiederum behauptet, er habe Anfang Januar Benzin aus einem Mofa in einen Kanister umgefüllt. Er habe den Füllstand des Kanisters überprüfen wollen und zu diesem Zweck mit einem Feuerzeug in den Kanister geleuchtet. Das habe zu einer Verpuffung geführt, die zur Versengung geführt haben muss.

Kriminaltechniker überprüfen sowohl die Version mit der Haarspraydose als auch Dirk T.s Ofen und kamen zu dem Schluss, dass in beiden Fällen damit die Versengungen nicht erklärt werden könnten.

Später schloss sich Dirk T. der Version von Maik W. an und wollte nun doch an der Quälerei des Hundes beteiligt sein.
Festzustellen bleibt, dass auch die zeitlichen Angaben keine Erklärung für die Versengungen bieten: Wenn die Spuren in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar maximal 24 Stunden alt waren, können sie nicht durch Geschehnisse am 14. Januar (Haarspraydose) bzw. Anfang Januar (Benzin umgefüllt) entstanden sein.

Die Staatsanwaltschaft hat die Erklärungen in ihrer Verfügung zur Einstellung der Ermittlungen gegen Maik W. und die anderen als „plausibel“ und nicht zu widerlegen“ bezeichnet. Gleichzeitig schrieb Dr. Michael Böckenhauer in dieser Verfügung:

„Möglicherweise rühren die Versengungen der 3 Beschuldigten auch daher, dass sie gestohlene Fahrzeuge ansteckten, nachdem diese ausgeschlachtet worden sind.“

Die Grevesmühlener selbst berichteten zu keinem Zeitpunkt von angezündeten Fahrzeugen, es gab auch ansonsten keinen einzigen objektiven Hinweis darauf.

Befunde in den PKWs der Tatverdächtigen

Eine gründliche kriminaltechnische Untersuchung des Wartburg und der anderen Fahrzeuge der vier Grevesmühlener fand nicht statt. Zwar wurde mit einem Photoionisationsdetektor (der Spuren von Brandbeschleuniger feststellt) der Wartburg umrundet, aber das Gerät schlug permanent aus.

Ansonsten wurde der Wagen lediglich in Augenschein genommen. Sicher ist, dass ein Stadtplan von Lübeck im Wagen gefunden wurde. Diese Karte wurde aber nicht näher untersucht. So wurde es unterlassen, dort Fingerabdrücke zu sichern um a) sie auf eine mögliche Häufung an bestimmten Orten zu prüfen und b) mögliche weitere Insassen des Fahrzeug zu ermitteln.

Unklar ist die Anzahl der im Kofferraum vorhandenen Benzinkanister. René B. selber behauptete, in seinem Wagen hätten sich drei Kanister (!) befunden.

Keine Ermittlungen fanden auch zum Zweitwagen des René B. – ebenfalls ein Wartburg – statt. Noch im November 1996, während des 1. Prozesses gegen Safwan E., war dies Thema, weil die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt nur wusste, dass dieser Wartburg abgemeldet und verschrottet worden war. Das Gericht wollte aber auch wissen, wann die Abmeldung geschah und welche Farbe dieser Wartburg hatte.

Täterwissen

In den Aussagen der Grevesmühlenern finden sich zwei Beobachtungen über Ereignisse, die nur vor dem Eintreffen der ersten Rettungskräfte stattgefunden haben können:

  1. Der Sturz der Monica Bunga und ihrer Tochter aus dem 3. OG des Hauses
  2. Der Tod von Sylvio Amoussou im Eingangs-Vorbau des Hauses (der zudem nur beobachtet werden konnte, wenn man sich direkt vor dem Eingang oder sogar im Haus befand.

Heiko P. sagte am 18.1.1996 aus:

„Wir verließen alle drei das Fahrzeug, blieben jedoch direkt am Fahrzeug stehen. Wir konnten an dieser Stelle aus beobachten, wie zunächst eine Frau mit einem Kind im Arm aus einem der Stockwerke auf ein Sprungkissen sprangen. Wenn ich hier danach gefragt werde, so bin ich der Meinung, dass die Leute aus der dritten Etage heraussprangen.“

Tatsächlich sprang nur Monica Bunga mit ihrer Tochter im Arm aus der dritten Etage. Frau Bunga war auch die einzige Person mit einem Kind auf dem Arm. Allerdings sprang sie nicht auf ein Sprungkissen – die Feuerwehr war zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor Ort. Als die ersten Rettungskräfte eintrafen, lag Monica Bunga bereits tot vor dem Haus.

Kerstin B., die Freundin von Dirk T, sagte am gleichen Tag aus:

„Maik hat mir erzählt, dass er mit einem Typen, wahrscheinlich ist damit der B. gemeint, durch die Stadt gelaufen war. Sie waren dann an das Feuer gekommen. Sie haben dann noch gesehen, dass dort bei dem Feuer unten auf dem Boden jemand gelegen hat, der noch brannte.“

Und Dirk T. selbst sagt am 19.1.1996 aus:

„Maik erzählte mir, in Lübeck ist was los, da brennt ein Haus, sie hätten dort eine verbrannte Leiche gesehen und Menschen seien aus dem Haus rausgesprungen.“

Monica Bunga hat definitiv nicht gebrannt, sie starb an den Folgen des Sprungs. „Verbrannte“ Leichen gab es nur im 2.OG und eben im Eingangs-Vorbau: Sylvio Amoussou. Dessen Leiche wurde erst nach Ablöschung des Brandes gefunden und geborgen.

Ankündigung der Tat & Geständnisse

Insgesamt haben die Grevesmühlener die Brandstiftung ein Mal angekündigt und es liegen insgesamt fünf Geständnisse von zwei Personen vor: Davon sind 4 sog. „Geständnisse vom Hörensagen“ und ein Geständnis vor Polizei und Staatsanwaltschaft.

  • Anfang Januar 1996 soll nach Aussage des Zeugen Marcel R. dessen Freund Maik W. ihm gesagt haben, er wolle demnächst in Lübeck etwas anzünden.
  • Ende März 1996 meldet sich ein Feuerwehrsanitäter, der aussagte, er habe einen von einem gewissen Günther V. erzählt bekommen, dass dieser wisse, wer für den Anschlag in der Hafenstraße verantwortlich sei. V. wäre ein ehemaliger Kollege von Heiko P. P. habe V. erzählt, dass er bei der Brandstiftung dabei gewesen sei, aber nur in einer Helferrolle als Fahrer. P. habe weiter ausgeführt, dass seine Mittäter gedroht hätten, ihn umzubringen, wenn er sich an die Polizei wende. Weiterhin seien die bisherigen Vernehmungen durch die Polizei „ein Witz“ gewesen.
    In einer späteren Vernehmung will V. sich an dieses Gespräch mit dem Sanitäter nicht erinnern, sagt aber aus, dass er Heiko P. kenne und sich mit ihm auch über den Brandanschlag unterhalten habe. Dabei habe Heiko aber weder die Tat gestanden noch die anderen drei der Tat bezichtigt. Gleichzeitig soll Heiko P. aber mehrmals „die können uns nichts“ und „die kriegen uns sowieso nicht“ gesagt haben.
  • Am 20.12. verfolgte ein Verkäufer eines Bekleidungsgeschäftes Maik W., nachdem dieser ein Sweatshirt und Jogginghosen geklaut hatte. Als er ihn gestellt hatte und mit der Polizei drohte, soll Maik W. gesagt haben „Was willst du von mir, ich war schon bei dem Brandanschlag von Lübeck am 28.8.95 dabei.“ Unmittelbar darauf wurde der Verkäufer von Maik W. und weiteren Personen zusammengeschlagen.
    Die Staatsanwaltschaft verwarf diese Zeugenaussage, weil der Verkäufer ein Datum nannte, an dem es in Lübeck keinen Brandanschlag gab.
  • Am 22.2.1998 gestand Maik W. gegenüber einem Abteilungsleiter – Peter D. – in der JVA Neustrelitz die Brandstiftung.
  • Am 23.2.1998 legt Maik W. nun auch vor einem Polizeibeamten und dem Staatsanwalt Dr. Michael Böckenhauer sowie Peter D. ein Geständnis ab. Im Laufe des Gesprächs widerruft er jedoch alles. Später sagte er dazu, das Misstrauen des Kripo-Mannes hinsichtlich des Geständnisses habe ihn genervt. Peter D. schreibt später in einen Aktenvermerk, Maik W. habe ihm gegenüber gesagt: „Wenn man mir das Ding nachweisen will und vielleicht auch kann, kann mir niemand vorwerfen, ich hätte nicht ausgesagt. Wenn man mir nicht glaubt, kann ich auch nichts dazu. Und jetzt sage ich gar nichts mehr!“ An anderer Stelle sagt Peter D. aus, er habe während der staatsanwaltlichen Vernehmung den Eindruck gehabt, die Beamten hätten mit großer Energie Maik W. versucht, das Geständnis wieder auszureden.
  • Am 13.7.1998 erscheint im Magazin SPIEGEL ein ausführliches Interview mit Maik W., in dem er erneut aussagt, er habe zusammen mit René B und Heiko P. das Flüchtlingsheim Hafenstraße angezündet, „weil es Stress mit Leuten im Heim gab“. Das Interview ist hier im Archiv des SPIEGEL zu lesen. Die Staatsanwaltschaft unterstellte später, das Interview sei nur deshalb so zustande gekommen, weil Maik W. Geld vom Spiegel erhalten wollte (was er auch erhalten hat, 500 DM).

Die tatsächlichen und möglichen Kontakte des Maik W.

Maik W. galt in seinem Bekanntenkreis und bei Betreuer:innen als bestens in der rechtsextremen Szene vernetzt.

  • Im Buch „Brandherd“ des Autors und Journalisten Andreas Juhnke ist zu erfahren, dass Maik W. von August bis Dezember 1995 in einem Heim für straffällig gewordene Jugendliche in Laage-Kronskamp wohnte. Die Heim-Mitarbeiter:innen wussten von Maiks rechtsextremen Kontakten „von Güstrow bis Hamburg über ganz Norddeutschland hinweg, Ost wie West.“
  • Nachdem die Heimleitung im Dezember Maik W. des Heimes verwiesen hatte, fand am Heiligabend ein Überfall von mehreren maskierten Jugendlichen auf das Heim statt, bei dem erheblicher Sachschaden entstand.
  • Im Sommer 1995 war Maik W. in einem Heim in Gülze untergebracht. Dort ging für ihn ein Brief des NPD-Kreisverbandes Boizenburg mit Parteiaufnahmeunterlagen zu. Der Vorsitzende dieses NPD-Kreisverbandes war Heino Förster, der damals allerdings in Haft saß. Förster war als Hintermann für einen Überfall auf ein Asylbewerberheim in der Nähe von Boizenburg 1992 verurteilt worden. Diesen Überfall, an dem sich mehr als 30 Jugendliche beteiligten, hatte Förster detailliert geplant: Die Flüchtlinge sollten erst aus dem Heim gelockt werden, dann mit Brandsätzen, Schlag-, Schuss- und Stichwaffen angegriffen werden. Förster selbst beteiligte sich an dem Angriff nicht.
  • Die Mitarbeiter:innen des Heimes in Laage-Kronskamp fanden beim Ausräumen der restlichen Sachen von Maik W. den Namen Jens L. mitsamt einer Telefonnummer. Jens L. hieß der Rettungssanitäter, der später ein Geständnis von Safwan E. gehört haben will. Auch Kerstin B. (die Freundin von Dirk T.), bei der Maik W. im Januar 1996 wohnte, sagt aus, dass sich in W.‘s Notizbuch Name und Nummer von Jens L. und dazu von Matthias H. befunden haben sollen. Matthias H. ist ein Freund und Kollege von Jens L. und hat dessen Kontakt zur Polizei hergestellt. Maik W. behauptete später, er kenne zwei „L.“. Der eine sei Polizeibeamter und habe ihn mal nach einem Diebstahl festgenommen, der andere sei ein Taxifahrer aus Bad Oldesloe, der ihn im August 1995 von Bad Oldesloe nach Laage-Kronskamp gefahren habe und dem er noch das Fahrtgeld schulde. Die Polizei stellte Ermittlungen an und fand heraus, dass weder in Oldesloe noch in der Umgebung ein Taxifahrer dieses Namens existierte.

Der Tatverdacht gegen einen Hausbewohner

Übersicht

Am selben Tag, als die vier Grevesmühlener aus der Untersuchungshaft entlassen wurden – am 19. Januar 1996 – erfuhr die Polizei von einem „Geständnis vom Hörensagen“, das Safwan E. gegenüber einen ihn behandelnden Rettungssanitäter (Jens L.) abgelegt haben soll.

Daraufhin wurde Safwan E. für mehr als vier Monate in Untersuchungshaft genommen. In diesem Geständnis soll Safwan E. die Tat mit den Worten „wir warn’s“ zugegeben und als Grund einen Streit mit einem Familienvater genannt haben. Kurz darauf meinte die Polizei als Brandausbruchsort eine Stelle im 1. OG des Hauses gefunden zu haben, was ihrer Meinung nach zu einer „von innen“ durchgeführten Brandstiftung passte. Als sich der Nachweis eines Motivs schwer gestaltete, hörte die Polizei Safwan E. und die ihn besuchenden Mitglieder seiner Familie ab und behaupteten später, dieser Lauschangriff habe belastende Indizien ergeben.

Einen möglichen rechtsextremen Hintergrund des Jens L. und seines Freundes und Kollegen Matthias H. (der den Kontakt zur Polizei herstellte) – für den es mehrere Hinweise gab – hat die Staatsanwaltschaft stets bestritten. Gegen Safwan E. wurden aufgrund dieser Indizien zwei Strafprozesse geführt. In beiden Verfahren wurde er freigesprochen.

Die Aussage des Jens L.

Die erste Aussage des Belastungszeugen

Der (einzige) Belastungszeuge gegen Safwan E. meldete sich nicht direkt bei der Polizei. Diese bekam am Nachmittag des 19. Januar einen Anruf von Matthias H., der den Beamten mitteilte, sein Freund und Kollege Jens L. hätte bei seinem Einsatz in der Brandnacht ein Geständnis von einem der Hausbewohner gehört.

Jens L. war ehrenamtlich in seiner Freizeit Rettungssanitäter für das Deutsche Rote Kreuz und hatte seine Sanitäterprüfung erst kurze Zeit vor der Brandnacht bestanden. Noch am gleichen Tag wurde Jens L. dazu von der Polizei vernommen. Demnach sei Jens L. zusammen mit nur einer Kollegin mit der Betreuung der 17 leichter Verletzten beauftragt gewesen, die in einem Bus des Lübecker Stadtverkehrs auf ihren Transport ins Krankenhaus gewartet haben. Er habe eine Reihe von Verletzten versorgt, dann sei der Bus zum Priwall Krankenhaus in Lübeck-Travemünde losgefahren. Auf der Rückbank des Busses, nach Abfahrt des Busses, sei ihm ein Mann aufgefallen, der sich sehr ruhig verhalten habe. Jens L. habe sich zu diesem Mann begeben und gefragt, ob alles in Ordnung sei. Dieser – Safwan E. – soll dann gesagt haben „Wir warn’s“.

Weiter sagt Jens L. aus, dass er sich dann links neben den Mann gesetzt habe, es sei dann zu einem Gespräch gekommen. L. habe dem Verletzten gewarnt, so etwas sage man doch nicht, dass könne einem später einmal „Kopf und Kragen kosten“. Safwan E. soll dann, ohne von Jens L. danach gefragt worden zu sein, ihm den gesamten Verlauf der Brandstiftung erzählt haben.

„Er sagte mir, dass sie Streit mit einem Familienvater hatten. Er sagte, wir wollten uns dafür rächen. Und dann haben wir ihm Benzin an die Tür gekippt, angezündet, und dann ist das brennend die Treppe runtergelaufen, und mit einem Mal stand die Treppe in Flammen.“

Jens L. sagte weiter aus, dass er dem Mann dann die Ohren verbunden habe, weil beide Ohren Verbrennungsverletzungen aufwiesen. Laut seiner Aussage habe Jens L. seiner Kollegin noch im Bus von diesem Gespräch erzählt. Sie habe ihm geraten, mit dem ebenfalls im Bus sitzenden Polizeibeamten zu reden. Dies tat Jens L. nicht.

Am nächsten Morgen sei L. zur Arbeit gefahren, habe am Abend in einem TV-Beitrag das Gesicht seines Gesprächspartners wieder gesehen und sich dann entschieden, die Geschichte seiner Vermieterin (die eine Art Oma für ihn gewesen sei) zu erzählen. Auch diese riet ihm, zur Polizei zu gehen, was er aber immer noch nicht tat.

Als er im Radio von der Freilassung der vier Grevesmühlenern gehört habe, will er schließlich Matthias H. von diesem Geständnis erzählt haben, der dann die Polizei informierte. Auf ihm vorgelegten Fotos identifizierte Jens L. dann mit hoher Wahrscheinlichkeit Safwan E. als den Mann, mit dem er im Bus gesprochen habe. Die Vernehmung von Jens L. wurde von Kriminaloberkommissar Detfred D. durchgeführt. Im Unterschied zu allen anderen Vernehmungen, die KOK D. an diesem Tag durchführte, war kein/e weitere Polizeibeamte/r anwesend, nur zeitweise eine Protokollantin.

Ermittlungen direkt nach der ersten Aussage des Jens L.

Die Polizei versuchte die Aussage von Jens L. zu überprüfen, indem sie zuerst einen der Diakonie-Mitarbeiter, der als Betreuer im Brandhaus gearbeitet hatte, und dann Gustave S., der für den genannten „Familienvater“ gehalten wurde, befragte.

Parallel wurden Safwan E. und sein jüngerer Bruder Ghaswan zur Vernehmung abgeholt. Roman S, der Diakonie-Betreuer, gab an, dass a) ihm keine ernsthaften Streitigkeiten im Haus bekannt waren und b) er Safwan als einen ruhigen, besonnenen jungen Mann erlebt habe. Gustave S. bestätigte diese Aussage. Streit habe es höchstens mal zwischen den Kindern gegeben. Er selber habe definitiv keinen Streit mit Safwan gehabt und sei auch kein Familienvater.

Safwan wurde gegen 22 Uhr des 19.1. von den Beamten nur auf Deutsch vernommen. Er stritt jede Beteiligung an der Brandstiftung ab. Stattdessen sei er in der Nacht durch Alarm-Rufe seiner Nachbarn geweckt worden, habe gesehen, wie ein Teil seiner Familie aus den Fenstern heraus sich in Sicherheit gebracht habe und er selber mit dem zweiten Leiterwagen vom Dach des Hauses gerettet worden sei. Danach habe er seine Eltern bei der Verletztensammelstelle aufgesucht und von seinem Vater dessen Beobachtungen erzählt bekommen.

„Mein Vater sagte: ‚Die haben das gemacht.‘ Ich fragte: ‚Wer? Hast du was gesehen?‘ Mein Vater sagte: ‚Nein, ich habe nichts gesehen, aber gehört, dass die Metalltür vom Zaun, welcher sich auf der Haupteingangsseite befindet, Geräusche machte.‘ Er habe ‚Bumm‘ gehört, stand auf. Er lief dann zum Fenster und sah hinaus. Aus dem Fenster sah er Feuer.“

An ein längeres Gespräch mit dem Sanitäter konnte Safwan sich nicht erinnern. Allerdings habe Safwan ihm und diversen weiteren Menschen in der Brandnacht von den Wahrnehmungen seines Vaters Marwan erzählt. Der Sanitäter habe daraufhin gesagt, dass es „bestimmt ein Molotov-Cocktail“ gewesen sei. Die Polizei verhaftet Safwan E., die Staatsanwaltschaft beantragt am folgenden 20. Januar einen Haftbefehl, dem am gleichen Tag durch einen Haftrichter stattgegeben wird. Am 21. Januar geben Polizei und Staatsanwaltschaft eine Pressekonferenz, bei der die Verhaftung mitgeteilt wird.

Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Schultz auf dieser Pressekonferenz:

„Nicht nur seine Worte „Wir waren es“, entscheidend war vielmehr die Tatsache, dass der Beschuldigte Wissen mitgeteilt hat, über das nur der Täter oder ein Tatbeteiligter verfügen kann. So hat er den Ort des Brandausbruchs, der zur damaligen Zeit den Ermittlungsbehörden nicht bekannt war, der uns bis gestern nicht bekannt war, genau bezeichnet. Seine Angaben hierzu stehen in Übereinstimmung mit den Feststellungen der Kriminaltechnik.“

Widersprüchlichkeiten

In seiner ersten Aussage meinte Jens L., er habe in der Brandnacht nur seiner Kollegin im Bus und dann am nächsten Tag seiner „Oma“ und Matthias H. von dem angeblichen Geständnis erzählt. Später kam heraus, dass er am 18.1., nach Rückkehr des Sanitätszuges in die Kaserne, zwei weitere Sanitäter über das Gespräch mit Safwan E. informiert wurden. Am 19.1. erzählte Jens L. auch einem Kollegen im Großmarkt, in dem er arbeitete, über das angebliche Geständnis. Sein Zögern, sich sofort an die Polizei zu wenden, erklärte Jens L. mit der Sorge, dass dies gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen könnte. Gleichwohl weiht er mindestens sechs andere Personen ein.

Soll Matthias H. erst am 19.1. telefonisch kontaktiert worden sein, sagt Matthias H. später vor Gericht aus, er sei noch „am Ereignisort“ (also am Brandhaus) von Jens L. informiert worden. Dies steht im Widerspruch zu der Tatsache, dass Jens L. Safwan E. während der Fahrt ins Krankenhaus versorgt hat (wie es sowohl Safwan schildert, als auch Jens L. in seiner ersten Aussage). Am 31.Mai macht Jens L. erneut eine Aussage, in dieser soll das Gespräch mit Safwan vor der Abfahrt stattgefunden haben.

Jens L. will in einer Sendung des Radiosenders N-Joy am frühen Morgen des 19. von der Freilassung der Grevesmühlener gehört haben, ihm sei aber unbekannt gewesen, dass zu dieser Zeit eine Belohnung von 50.000 DM für Hinweise zu der Straftat ausgesetzt worden waren. Allerdings wurde in eben diesen N-Joy-Nachrichten auch über die Belohnung berichtet.

Ist seine erste Aussage bei der Polizei noch relativ eindeutig, bietet seine gerichtliche Aussage ein „Potpourri von Möglichkeiten“ (wie es später Safwans Verteidigung nennt) an: Es gab Streit mit einem Hausbewohner oder Familienvater, man wollte sich rächen oder Rache nehmen. Dann hätten sie Benzin oder eine andere brennbare Flüssigkeit aus einer Flasche oder einem Becher oder einem anderen Gefäß ausgegossen. Die Situation im Verletzten-Bus ist laut mehreren Zeug:innenaussagen sehr turbulent und laut gewesen. Gleichzeitig ist sich Jens L. sicher, alles von Safwan E. Gesagte genau verstanden zu haben.

Hinweise auf rechtsextreme Verwicklungen der Sanitäter Jens L. und Matthias H.

Noch vor dem Prozess tauchten Hinweise aus Recherchen durch Medien und antifaschistischen Gruppen auf, dass sowohl der Sanitäter Matthias H., als auch der Belastungszeuge Jens L. einen rechtsextremen Hintergrund haben. Polizei und Staatsanwaltschaft haben dies bestritten.

Vor seiner Zeit beim DRK war Matthias H. beim Malteser Hilfsdienst ehrenamtlich tätig. Dort wurde ihm Ende der 80er Jahre deutlich gemacht, dass man auf seine weitere Mitarbeit keinen Wert legt. Grund war sein betont militärisches Auftreten gewesen: „Er hätte eine merkwürdige Vorliebe für Tarn-Uniformen und Springerstiefel gehabt, sein kurzgehaltenes Haar und der Umgangston hätten eher an einen brachialen Skinhead als an einen barmherzigen Samariter erinnert“ (aus: Andreas Juhnke, Brandherd).

Sowohl eine ehemalige Freundin als auch ein damaliger Kollege bei den Maltesern bestätigen, dass Matthias H. Kontakte in die rechtsextreme Szene über sein Hobby Gotcha/ Paintball geknüpft hatte. Matthias H. war Vorsitzender „auf Lebenszeit“ der von ihm gegründeten Lübecker Gotcha-Gruppe „Leathernecks“, dessen „gesamte Clubideologie auf seinem Gedankengut beruhe“. Die Satzung der „Leathernecks“ war jedenfalls ein Dokument, dass ganz im Sinne eines Führerprinzips geschrieben war. Dass sich an Paintball“spielen“ in Norddeutschland nicht nur, aber auch Rechtsextremisten beteiligt haben, ist unbestritten.
Matthias H. selbst gibt „rechtes Gedankengut“ zu, allerdings nur als Schüler.

Unklar blieb, was es mit dem Fund einer Broschüre im Spind des Matthias H. zu seiner Malteser-Zeit auf sich hatte. Neben gestohlenen Medikamenten und Instrumenten fanden Mitarbeiter:innen des MHD Collagen aus einer Militaria-Zeitschrift und besagte Broschüre mit dem Titel „Verteidigungsabschnitt oder Verteidigungsgruppe Schleswig-Holstein Süd“ samt einer Personenliste. Die Malteser hielten die Broschüre für eine Mitgliederliste einer Wehrsportgruppe – auch dies war Grund für die Trennung von Matthias H.. Unbestritten ist, dass auch Jens L. an Treffen und „Spielen“ der „Leathernecks“ teilnahm. Weiterhin gibt Matthias H. an, „der beste Freund“ des Jens L. gewesen zu sein.

Hatte Jens L. Kontakt zu Maik W.?

Inwieweit Jens L. Kontakt zu einem der tatverdächtigen Grevesmühlenern – Maik W. – hatte, ist im Abschnitt Die tatsächlichen und möglichen Kontakte des Maik W. dargestellt.

Safwan E. in der Brandnacht

Laut eigener Aussage und der Aussage der mit ihm im selben Zimmer schlafenden Brüder hat Safwan E. im 3. OG des Hauses geschlafen, bis alle Brüder durch „Feuer“-Rufe ihrer Nachbarn geweckt wurden. Safwan E. hat sich auf das Dach des Hauses gerettet und von dort mit angesehen, wie der erste Leiterwagen der Feuerwehr umstürzte. Er wurde – als letzter aller Hausbewohner:innen – erst durch den Einstz des zweiten Leiterwagens gerettet. Während er auf dem Dach ausharrte, zog er sich Verbrennungen an beiden Ohren zu.

Diverse Zeug:innen berichten, dass Safwan E. ihnen erzählt hat, was sein Vater zuvor gehört und beobachtet habe: ein Geräusch von der Zauntür, wenig später ein „Bumm“, ein Explosionsgeräusch, dann Feuer am Eingangsbereich des Hauses. Unter den Zeug:innen ist auch ein Kripo-Beamter und der Busfahrer des Verletztenbusses. Safwan habe sich dabei auch um Verletzte und verstörte Nachbar:innen gekümmert und hat befreundete Familien angerufen, damit diese mit Kleidung aushelfen (die Überlebenden trugen natürlich nur Schlafanzüge/ Nachthemden).

Die Kriminaltechnik hat keine Spuren, weder am Körper noch an der Kleidung, bei Safwan E. festgestellt, die auf ihn als Brandstifter hindeuten. Später wurde Safwan E. unterstellt, er habe seine Nachtbekleidung entsorgen wollen. Tatsächlich wurde dann aber bestätigt, dass sein Kaftan auf Anweisung einer Krankenschwester im Krankenhaus ausgezogen und in eine Mülltüte geworfen wurde. Dort konnte der Kaftan auch geborgen werden.

Das unterstellte Motiv „Streit mit einem Familienvater“/ „Streit im Haus“

Bis ins Schlussplädoyer des ersten Prozesses gegen Safwan E. blieb die Staatsanwaltschaft bei ihrer Behauptung, es habe Streit bzw. Konflikte im Haus gegeben, die das Motiv für die Tat darstellen sollten. Ein „Familienvater“ im 1. OG konnte nicht gefunden werden und auch sonst keine einzige konkrete Person, mit der Safwan oder seine Familie im Streit gelegen hatten. Daraufhin wurde – spätestens mit Beginn des Prozesses – ein allgemein gehaltener Konflikt zwischen den Bewohner:innen des Hauses behauptet.

Im ersten Prozess wurden fast alle Bewohner:innen des Hauses als Zeug:innen vernommen, bis auf einen: Victor Atoe wurde vor Beginn des Verfahrens nach Nigeria abgeschoben, entgegen aller Versicherungen, den Brandopfern würde ein Bleiberecht gewährt. Deren Aussagen bestätigten die Behauptung vom tödlichen Streit nicht. Im Gegenteil: Selbst unter den beengten Wohnverhältnissen, der meist geringen finanziellen Einkünften und der psychischen Belastung aufgrund der laufenden, unsicheren Asylverfahren war die Stimmung unter den Bewohner:innen freundlich bis hin zu freundschaftlich. Weder gab es „ethnische“ oder religiöse Konflikte, wie von einigen Medien spekuliert, noch persönliche Streitereien, die ein Motiv für eine Brandstiftung dienen konnten.

In den Zeug:innenaussagen wurden lediglich kleinere Streitereien zwischen den Kindern erwähnt und einige wenige, unter Nachbar:innen übliche kleine Unstimmigkeiten (wer benutzt wann die Waschmaschine?). Auch Betreuer:innen der Geflüchteten hatten keinerlei Kenntnisse über irgendwelche relevanten Konflikte im Haus. Weiterhin gab es Bekundungen zu Safwan E.‘s Charakter: es handele sich um einen besonnenen, jungen Mann, der „stets auf Ausgleich“ bedacht gewesen sei. Einige Medien berichteten ausführlich und reißerisch über das Zerwürfnis zwischen den Familien E. und El O., das während des Prozesses deutlich wurde. Die Familie El O., die den Tod des Sohnes Rabia zu beklagen hatte, schenkte tatsächlich den Behauptungen von Polizei und Staatsanwaltschaft Glauben, bestärkt durch ihre beiden Anwälte.

Allerdings haben sämtliche vor Gericht befragten Familienmitglieder bezeugt, dass das Verhältnis zwischen ihnen und der Familie des Angeklagten vor der Brandlegung frei von Konflikten war. Der Hass ist erst später – durch die Anklage selbst – entstanden.

Die Abhörmaßnahme

Bis zum 1. Februar 1996 durfte Safwan E. in der Untersuchungshaft keinerlei Besuch empfangen. Faktisch befand er sich fast zwei Wochen in Isolationshaft. Unterdessen wurde der Besucher:innenraum durch die Polizei verwanzt, in der Hoffnung, dass der Beschuldigte gegenüber seiner Familie Aussagen tätigt, die ihn belasten.
Die Abhörmaßnahmen dauerte bis zum 29. Februar (1996 war ein Schaltjahr).

Unmittelbar danach erklärten die Ermittler gegenüber der Presse, die Maßnahmen hätten den Verdacht gegen den Beschuldigten erhärtet. Die belauschten Gespräche wurden in arabischer Sprache geführt und für die Ermittlungsbehörden von einem Sachverständigen übersetzt. Dieser Sachverständige war als Übersetzer vor Gericht für Kurdisch vereidigt, allerdings nicht für libanesisches Arabisch.

Im ersten Prozess wurde das Material aus der Abhörmaßnahme nicht vor Gericht zugelassen: Das Lübecker Landgericht entschied, dass der Besucherraum einer U-Haftanstalt einer privaten Wohnung gleichzusetzen wäre, diese war zu diesem Zeitpunkt (Der sog. „große Lauschangriff“ war als Gesetz noch nicht verabschiedet) also durch das Grundgesetz, Artikel 13 („Unverletzlichkeit der Wohnung“) geschützt.

Diese Entscheidung wurde zum Dreh- und Angelpunkt des Revisionsantrages vor dem Bundesgerichtshof. Der BGH gab der Revision statt, deshalb wurden im zweiten Prozess ausschließlich die Protokolle der Abhörmaßnahmen behandelt.

In diesem Prozess wurde deutlich, dass die anfänglichen Übersetzungen grob fehlerhaft gewesen sind. Zum Beispiel:

  • stellte sich eine angeblich belastende Aussage Safwans als Geräusch, dass durch eine knarrende Tür hervorgerufen wurde, heraus.
  • die durch das LKA mit „Ich habe sie zum Schweigen gebracht“ übersetzte Passage korrekt „Ich habe sie beruhigt“ lautet
  • der LKA-Übersetzer „Wenn ich gestehen würde, was wäre dann?“ übersetzte, es aber korrekt „Wenn ich gestorben wäre, was wäre dann?“ hätte lauten müssen
  • die LKA-Übersetzung „Dein Vater sagt, du sollst aufpassen“ tatsächlich mit „Dein Vater lässt dich grüßen“ hätte übersetzt werden müssen.
  • der Satz „Alle sind gekommen und haben ihre Aussagen dargelegt“ vom LKA mit „Alle sind gekommen und haben ihre Aussagen verglichen“ übersetzt wurde

Weiterhin ergaben die Protokolle, dass Safwan E. mehrmals gegenüber seiner Familie seine Unschuld erwähnte. Diese Passagen spielten in den öffentlichen Statements der Staatsanwaltschaft keine Rolle. Das Kieler Landgericht kam zum Schluss, dass die Abhörmaßnahme nicht nur keine belastenden Indizien ergab, sondern im Gegenteil: die in der U-Haft abgelaufenen Unterhaltungen sprächen sogar für die Unschuld des Angeklagten.

Wo brach das Feuer aus?

Überblick

Eine zentrale Frage hinsichtlich der Täterschaft des Brandanschlages war der Aspekt, wo am oder im Haus das Feuer gelegt worden war. Staatsanwaltschaft und Polizei behaupten bis heute, das Feuer sei allein im 1. OG, hier zwischen zwei Türen des Flures gelegt worden. Dazu gab es entsprechende Gutachten von Sachverständigen des LKA und des BKA. Die Verteidigung von Safwan Eid, die Rechtsanwältinnen Gabriele Heinecke und Barbara Klawitter, beauftragten zwei Sachverständige: Den Frankfurter Prof. Ernst Achilles und den Briten Roger Ide.

Beide kamen zu dem Ergebnis, dass das Feuer im hölzernen Vorbau des Eingangs gelegt wurde, Roger Ide wollte darüber hinaus eine zusätzliche Brandstiftung im 1. OG nicht ausschließen; allerdings an anderer Stelle, als LKA/ BKA.

Beobachtungen der Hausbewohner:innen

Marwan E. war wahrscheinlich der erste unter den Hausbewohner:innen, der das Feuer sah: Er hörte ein Geräusch von der Gartenpforte, kurze Zeit später ein explosionsartiges Geräusch und sah dann aus dem Fenster Flammen im/ am Vorbau. Jinan E. hatte Glas splittern hören und dann ebenfalls aus dem Fenster geschaut. Auch sie sah Flammen im Vorbau. Salam und Saloa und zwei weitere Geschwister der Familie El O. schliefen im 1. OG und seien durch die Alarm-Rufe ihrer Mutter geweckt worden. Erst seien sie in die Küche gelaufen, dann haben sie sich durch das Fenster ihres Zimmers in Sicherheit gebracht.

Die Familie K. wurden durch Hilferufe aus dem Stockwerk über ihnen geweckt, die Tochter habe die Tür ein wenig geöffnet und dann starke Hitze gespürt. Weiterhin seien Geräusche von knisterndem Holz zu hören gewesen. Sie retteten sich durch das Fenster nach draußen. Vater Kibolo K. hat dort den Vorbau in hellen Flammen stehend gesehen, diese Flammen seien bis zum 1. OG hinaufgeschlagen. Seine Frau sagte ebenfalls aus, dass sie am Vorbau sehr starkes Feuer gesehen habe, als sie auf dem Weg zur Telefonzelle war, von der sie aus die Feuerwehr benachrichtigen wollte. Kurz darauf hatte Kibolo K. noch vom Hof aus Rufkontakt zu den Kindern der Familie M, die später alle Opfer des Feuers wurden. Zu diesem Zeitpunkt seien aus den Fenstern der Hofseite noch keine Flammen herausgeschlagen.

Marie A. wohnte im 1. OG, in der Nähe des von der StA behaupteten Brandausbruchsortes. Als sie auf den Hausflur trat, bemerkte sie keine Flammen in ihrer Nähe, wohl aber Rauch und Feuerschein aus dem Bereich des Treppenhauses. Gustave S. – er wohnte im 1. OG – hat keinerlei Flammen, nur Rauch, im Flur des 1. OG gesehen, sei den dunklen Flur entlang gegangen, habe sich dabei in die Dusche verirrt und dann in das Zimmer von Kate D. gelaufen. Nachdem er bei der Rettung der Kinder von Kate D. geholfen hat, rettete sich durch einen Sprung aus dem Fenster über das Dach des Vorbaus nach draußen. Dieser Teil des Vorbaus befand sich am anderen Ende der von der Verteidigung behaupteten Brandausbruchsstelle.

Ähnlich sagte William M. aus: Auf dem Flur des 1. OG sah er nur Rauch, aber keine Flammen, er sei dann durch das Fenster seines Zimmers nach draußen geflüchtet. Von dort hat er den Vorbau brennen sehen, die Flammen hätten sich nach oben gefressen. Und gleiches bekundeten Kate D. und Sylvère A. bei ihren Aussagen.

Der 13-jährige Ray S. sagte aus, er sei von Sylvio A. geweckt worden, beide hätten sich auf den Flur des 1. OG begeben, wo er keine Flammen, aber Rauch gesehen habe. Sylvio sei weiter zum Treppenhaus gegangen, Ray kehrte aber nach drei, vier Treppenstufen um, um seine Mutter zu suchen. Dabei habe er ein kleines Feuer im Vorbau gesehen. Nachdem er seine Mutter gesehen hatte und sich ins Bad verirrte, wäre der Rauch sehr stark gewesen und er habe sich durch einen Sprung aus dem Fenster gerettet. Der Notruf, den Frau Makodila kurz vor ihrem Tod an die Feuerwehr absetzte, ist ein weiteres Indiz: Ihr Zimmer lag in Richtung Konstinstraße, dort, wo sich auch der Vorbau befand.

Zusammenfassung

Alle Hausbewohner:innen, die in der Brandnacht auf dem Flur im 1.OG waren, haben dort keine Flammen gesehen, gleichzeitig eine Verrauchung des Flurs festgestellt. Mehrere Hausbewohner:innen haben in einer sehr frühen Brandphase den Vorbau in Flammen gesehen. Zwei Hausbewohner:innen berichten von einem explosionsartigen Geräusch.

Beobachtungen von Feuerwehrleuten und anderen Zeug:innen

BGS-Beamter B. sieht den Vorbau nicht brennen, obwohl im „das eigentlich hätte auffallen müssen, aber Feuerschein im 1. OG, später auch aus den zerborstenen Fenstern des 1. OG. Ein Angestellter von Brüggen sieht den Vorbau nicht brennen, hat sich aber auf der anderen Seite des Hauses aufgehalten. Zwei Passantinnen kamen zum Haus, als es schon im 1. und 2. OG brannte und auch im EG stark qualmte, es wurde nicht deutlich, ob sie Sicht auf den Vorbau hatten.

Eine Nachbarin sah Flammen im 2. Stock und im Vorbau und hielt dies für zwei voneinander unabhängige Brandherde. Ein Rangierer sah den Vorbau brennen und Feuer im 1. OG, sein Kollege betonte die schnelle Ausbreitung des Feuers und sah Flammen im Vorbau und den oberen Stockwerken. Ein Zivildienstleistender, der bereits vor den Rettungskräften vor Ort war, bezeichnete den Vorbau als „Flammenwall“, die Flammen züngelten an der Hauswand bis zum Dach hinauf. Eine Sozialpädagogin sah den Vorbau brennen und Flammen hinter den Fenstern Richtung Konstinstraße. Mehrere Zeugen sahen zwar nur Feuer in den oberen Stockwerken, standen ab an einer Stelle, von wo sie keine Sicht auf den Vorbau hatten.

Feuerwehrmann Horst K. (im ersten eintreffenden Löschzug) sagte aus, bei seinem Eintreffen brannte die linke Seite des Vorbaus. Die Feuerwehrleute Bruno B, Wilfried K., Holger B. und Markus Z. (im Löschzug aus der Hauptwache, der etwas später eintraf) sagten aus, sie haben bei ihrem Eintreffen starken Qualm am Vorbau bemerkt, Flammen hätten sie erst ca. eine Viertelstunde später dort gesehen. Feuerwehrmann Roland L. war im zuerst eintreffenden Einsatzfahrzeug. Er sagte aus, hatte Sicht aus der südlich, statdtwärts gerichteten Perspektive und sah Flammen vor allem im 1. OG. Sein Kollege Stefan L. sah Flammen im 1.OG Richtung Hafenstraße, im 1.OG Richtung Konstinstraße Und Qualm, wahrscheinlich auch Flammen am Vorbau. Feuerwehrmann Bernd L. stellte keine Flammen, aber starke, weiße Verqualmung am Vorbau fest. Der Qualm sei zwischen den Dachsparren des Vorbaus mit Druck herausgequollen. L. meinte weiter, nach seiner Erfahrung sei solcher Qualm dort zu beobachten, wo direkt darunter eine heiße Brandquelle sei.

Der Feuerwehr-Einsatzleiter hatte bei seinem Eintreffen den Vorbau leicht brennen sehen. Zwei Feuerwehrleute wollen noch die Haustür gesehen haben, alle anderen Rettungskräfte nicht. Reiner S. war der einzige Feuerwehrmann, der beim Löschen ins Haus eigedrungen ist. Er habe mit einem Kollegen zusammen die Flammen im Eingangsbereich erst herunterlöschen müssen, bevor er weiter vordringen konnte. Eine Tür habe er dabei nicht bemerkt. Im Vorbau sah er überall Flammen, die jedoch nicht sehr hoch gewesen seien. Es hätte aber so ausgesehen, als ob es im Vorbau schon länger gebrannt habe und die Flammen bereits wieder zurück gegangen seien. Dafür spräche auch seine Beobachtung, dass die Seitenwind sehr heiß gewesen sei und sogar die Steintreppe selbst gebrannt hätte (was später durch einen Gutachter für möglich gehalten wurde, weil das Material über brennbare Bindemittel verfügte). Reiner S. ging die Steintreppe in das 1.OG hinauf, dabei habe die hölzerne Treppe über ihm, die ins 2.OG führte) gebrannt, wäre aber noch nicht abgestürzt (laut LKA hätten herabfallende Teile dieser Treppe den Vorbau in Brand gesetzt). Auf dem Treppenabsatz im 1.OG musste der Feuerwehrmann umdrehen, weil hier Deckenteile abstürzten.

Der Beamte des Kriminaldauerdienstes M., der um 3.47 Uhr am Haus eintraf, sagte vor Gericht aus, er habe im Vorbau Qualm hinter den Fenstern gesehen, in diesem Qualm auch Funken. Der BGS-BEamte S. habe ihm von einem Knall („wahrscheinlich eine zerplatzende Fensterscheibe“) berichtet, aber nicht von Funken. In seinem Einsatzprotokoll schrieb er hingegen, dass S. Funkenflug am Vorbau gesehen und gleich darauf einen Knall gehört habe. Daraufhin seien Flammen aus den Fenstern des 1.OG geschlagen.

Besagter BGS-Mann S. sagte selber vor Gericht aus, er habe weder Rauch noch Flammen am Vorbau bemerkt. Mike P., der noch vor der Feuerwehr am Brandhaus eintraf, sah Flammenschein hinter den (noch intakten) Fenstern des 1.OG und den brennenden Vorbau. Dieser habe „am hellsten gebrannt“, die Flammen sollen nach außen die Hauswand hoch geschlagen sein. Feuerwehrmann Wolf S. sagte wiederum aus, bei seinem Eintreffen habe das ganze Gebäude in voller Ausdehnung gebrannt, zwei Minuten später habe der Vorbau aber nicht mehr so stark gebrannt. Dessen Balken wären aber verkohlt gewesen, teilweise hätten sie noch geglimmt.

Zusammenfassung

Noch bevor die Feuerwehr eintraf, sahen mehrere Zeug:innen den Vorbau in Flammen und Flammen zuerst hinter den intakten, später auch aus den geborstenen Fenstern des 1.OG., sowohl in Richtung Konstinstraße als auch in Richtung Hafenstraße. Zu einem (aller Wahrscheinlichkeit nach späteren) Zeitpunkt hat der Vorbau gequalmt. Wiederum danach muss er erneut aufgeflammt sein. Ein Zeuge gibt einen anderen wieder, der von einem Knall berichtet habe. Es ist zeitlich unwahrscheinlich, dass dieser Knall das Explosionsgeräusch ist, von dem zwei Hausbewohner:innen berichten.

Das Brandgutachten von LKA/ BKA – Tatort allein im 1.OG

Zu den Personen

Dr. Holger Herdejürgen, Chemiker, arbeitete für das LKA in der Abteilung für Brand- und Explosionsursachenforschung.

Dipl.-Ing.. Kohnke untersuchte für das LKA eine mögliche technische Ursache des Feuers.

Der Diplomchemiker Peter van Bebber war Brandursachenforscher beim BKA.

Die Diplomchemikerin Dr. Silke Löffler hat für das BKA den Brandverlauf mit der Software „Kobra 3-D“ berechnet.

Kernaussage

Eine technische Ursache wurde ausgeschlossen, da im Bereich starker Brandwirkung keine technischen Geräte als Verursacher in Frage kamen. Die Sachverständigen des LKA und des BKA verorten den Brandherd im hinteren Bereich des Flures des 1.OG, zwischen der 2. und 3. Tür (aus Richtung Konstinstraße gesehen). Dies wird aus Einbrennungen im Fußboden und korrespondierend dazu einem Durchbrand der darüber liegenden Deckenkonstruktion geschlossen. Aufgrund des Spurenbildes wurde ausgeschlossen, dass diese Schäden Folgeschäden des Brandes an anderem Ort (Treppenhaus, 2.OG) sein können.

Da an dieser Stelle der Boden nicht selbstständig hätte brennen können, wurde auf die Verwendung von Brandbeschleunigern geschlossen. Der Vorbau sei durch brennende Treppenteile, die heruntergestürzt seien, in Brand gesetzt worden. Hinsichtlich der Theorie, dass heiße Brandgase vom Vorbau das 1.OG in Brand gesetzt haben, widersprachen sich die Sachverständigen der Polizei: Zum einen wurde ein „Polstereffekt“ einer kalten Luftschicht als Hindernis behauptet (Dr. Löffler), Dr. Herdejürgen meinte, behauptete, das Brandspurenbild ergäbe keine ausreichende Wärmefreisetzungsrate, Herr van Bebber wiederum räumte ein, dass die Spuren in einer Wohnung zwar für die Ausbreitung des Feuers durch Heißluftgase sprächen, die gleichen Spuren dann aber auch in einer Wohnung daneben hätten gefunden werden müssen.

Die Durchbrennungen im Fußboden des Vorbaues erklärte Dr. Herdejürgen durch den Abbrand der Kunststoff-Eingangstür. Dem widersprach Herr van Bebber, da er einen noch vorhandenen Türpfosten als Ausschlussgrund für diese Theorie ansah.

Brandverlauf

Definitive Angaben zum Brandverlauf konnten die Sachverständigen nicht machen. Dr. Herdejürgen sah sowohl die Möglichkeit, dass es nach der Brandlegung durch weitere Zufuhr von Sauerstoff (geöffnete Türen und/ oder Fenster) zu einer Fortführung des offenen Flächenbrandes gekommen sein kann als auch eine Phase von Glimm-/ Schwelbrand durch Aufzehrung des vorhandenen Sauerstoffes; der sich erst nach Öffnung von Türen/ Fenstern wieder zu einem offenen Brand entwickelte.

Weitere Feststellungen

Der größte Zerstörungsgrad der Fenster wurde im 1.OG auf der Eingangsseite festgestellt. Generell waren die Brandschäden auf der rechten Seite des Hauses deutlich stärker als auf der linken Seite, außer in Bereichen, in denen sich das Feuer über das Treppenhaus vermittelt hat. An keinem Ort konnte mittels eine Photoionisationsdetektor Spuren von Brandbeschleunigern festgestellt werden, was aber nicht beweise, dass keine eingesetzt worden seien. Bei der gerichtlichen Diskussion um das Gutachten musste Dr. Herdejürgen einräumen, dass die Deckenkonstruktion oberhalb des von ihm verorteten Brandherde erst später abgebrochen sei, womöglich erst durch die Löscharbeiten. Folglich kann es an dieser Stelle nicht zu einer Vermittlung des Feuers in die oberen Stockwerke gekommen sein. Im Gutachten des Dr. Herdejürgen wurde einerseits festgestellt, dass die Kunststeintreppe nicht brennbar sei, darüber also keine Vermittlung des Feuers in das 1.OG stattgefunden haben könne. Andererseits musste der Sachverständige Kohnke einräumen, dass die Bindemittel des Kunststeins sehr wohl verbrennen.

Das Brandgutachten von Prof. Achilles – Tatort im Eingangsvorbau des EG

Zu den Personen

Prof. Ernst Achilles leitete die Frankfurter Berufsfeuerwehr von 1966 bis 1989 als Oberbranddirektor, war ab 1972 mit Lehrtätigkeit für vorbeugenden Brandschutz an mehreren Hochschulen, gehörte mehreren Fachkommissionen, unter anderem der Prüfkommission für Brandsachverständige, an und trat in mehr als 100 Fällen als Brandsachverständiger für Brandursachenforschung und Brandschutz vor Gericht auf. Unter anderem war er Gutachter im Prozess um die Brandkatastrophe am Düsseldorfer Flughafen 1996, bei der 17 Menschen ums Leben kamen. Er verstarb im Februar 1999.

Dr. Rainer Könnecke ist Entwickler der Software „Kobra 3-D“, die das Strömungsverhalten von heißen Brandgasen analysiert.

Sowohl Prof. Achilles als auch das BKA haben diese Software für ihre jeweiligen Analysen benutzt; DR. Könnecke sagte im Zuge des Achilles-Gutachtens aus.

Diskussion um Befangenheit

Die Staatsanwaltschaft und die Nebenklage Anwälte der Familie El O. stellten im ersten Verfahren einen Befangenheitsantrag gegen Prof. Achilles, weil dieser sich bereits vor Beginn des Prozesses zum Brandgeschehen öffentlich geäußert hatte. Zusätzlich zweifelte die Staatsanwaltschaft die Qualifikation des Gutachters an. Die Richter lehnten diesen Befangenheitsantrag ab.

Basis des Gutachtens

Prof. Achilles hat eigene Untersuchungen einige Wochen nach dem Brand am Haus in der Hafenstraße vorgenommen und hat zusätzlich die Untersuchungen der Kripo, die Zeug:innenaussagen, Einsatzberichte der Feuerwehr und die Software „Kobra 3-D“ herangezogen. Dabei ging er nach dem Eliminationsverfahren vor, bei dem die wahrscheinlichste aller möglichen Szenarien herausgearbeitet wird.

Kernaussage

Prof. Achilles hielt einen Bereich des Fußbodens im Eingangsvorbau, direkt unterhalb des Briefkastens für den wahrscheinlichsten Brandherd. Denn hier fand er drei Durchbrennungen des Fußbodens. Einschränkend verwies er darauf, dass solche Fußboden-Einbrennungen (sowohl die im Vorbau als auch die nicht asservierten Einbrennungen an der von der Staatsanwaltschaft behaupteten Stelle im 1.OG) durch herabgefallene, brennende Gegenstände verursacht werden könnten. Die Außenwand des Vorbaus Richtung Treppe analysierte er als am stärksten brandgeschädigt. Prof. Achilles verwies ebenfalls auf die Einsatztaktik der Feuerwehr: Erfahrungsgemäß wird der erste Löschschlauch an der stärksten Brandstelle postiert, dies war hier ein C-Rohr, um 3.48 Uhr am Vorbau.

Brandverlauf

Das Achilles-Gutachten geht von folgendem Brandverlauf aus: Nach Brandlegung im Inneren des Vorbaus weitete sich das Feuer auf den vorderen Teil des Vorbaus aus, die Flammen hatten durch Öffnung zum Keller genügend Sauerstoff für eine entsprechende Entwicklung zur Verfügung. Der hintere Teil des Vorbaus war weniger brandbelastet, weil hier eine Stahltür die Ausbreitung behinderte (eine sog. „T-30“-Tür, die 30 Minuten lang einem Feuer standhält).

Heiße Brandgase zogen unter der Vorbau-Decke ins Treppenhaus und von dort in das 1. und 2.OG. Im Treppenhaus setzte dabei ein Kamineffekt ein, der die Flammen kanalisierte und fokussierte. Dr. Könnecke erklärte die relativ schwache Brandbelastung der Dachabdeckung des Vorbaus damit, dass die Brandgase in das Treppenhaus, nicht auf das Vorbau-Dach, strömten.

Im 2.OG zündete mehr brennbares Material als im 1.OG, deshalb brannte das Dach sehr schnell durch. Dadurch konnten aber die Brandgase ins Freie entweichen, was im Flur des 2.OG zu einer Entlastung führte (der Flur des 2.OG war im Vergleich zum Flur des 1.OG weniger zerstört. Anhand des vier Zentimeter starken Abbrandes der Holzpfeiler des Vorbaus konnte Prof. Achilles schließen, dass der Vorbau bzw. die Pfeiler mindestens 20 Minuten lang dem Feuer ausgesetzt waren (laut Zeug:innen soll der Vorbau um 3.30h in voller Ausdehnung in Flammen gestanden haben). Ca. 10 Minuten waren erforderlich, damit sich das Feuer vom Brandlegungsort auf den Vorbau ausdehnen konnte. Dr. Könnecke bestätigte anhand einer Computersimulation, dass dieser Brandverlauf physikalisch möglich war.

Argumente gegen die Version der Anklage

Einen Brandausbruch im 1.OG schloss Prof. Achilles anhand des Spurenbildes aus. Er verwies auf eine fast unversehrte Rolle Klopapier, die oberhalb des von der Staatsanwaltschaft behaupteten Durchbrandes zum 2.OG gefunden wurde und auf Einrichtungsreste, deren Zustand auf eine geringere Feuereinwirkung schließen ließen. Brandlegungsmittel hätten auch nicht über den Flur Richtung Treppe fließen können, weil Prof. Achilles eine Steigung zur Treppe von 13 cm gemessen hatte. Ebenfalls hätten herabstürzende, brennende Treppenteile den Vorbau nicht in Brandsetzen können, weil dieser bereits brannte, als ein Löschangriff über die Treppe erfolgte, der Feuerwehrmann dabei aber a) die Treppe nach oben als intakt bezeichnete und b) er keine Hindernisse auf der unteren Ebene überwinden musste. Eine Flammenausbreitung von oben nach unten hätte eines Soges bedurft, der nicht existierte.

Dr. Könnecke widersprach dem BKA, dass eine Kaltluftblase ein Vordringen von Brandgasen aus dem Vorbau in das 1.OG („Polstereffekt“) verhindert hätte. Er wies daraufhin, dass das BKA mit der von ihm selber entwickelten Software nur die ersten 10 Minuten des Brandverlaufes berechnet hatte; eine weitergehende Berechnung aber zu einem komplett anderen Ergebnis führt. Dr. Könnecke verwies weiterhin darauf, dass es bei einer brennenden Benzinlache im 80 Zentimeter breiten Flur unmöglich sei, dass Menschen den Bereich unverletzt passieren konnten.

Scharfe Kritik äußerte Prof. Achilles an den Ermittlungen der Polizei: Bei seinen Untersuchungen in der Brandruine fand er noch diverse Gegenstände, die von den Ermittlungsbehörden hätten asserviert werden müssen. Weiterhin verwies er auf sachlich falsche Darstellung des Gebäudes: In den Zeichnungen der Ermittler:innen war z.B. der Vorbau nicht eingezeichnet, Wandstärken nicht gemessen, Durchbrennungen nicht eingetragen. Anders als die Sachverständigen der Polizei ermittelte Prof. Achilles, das ein Fenster des Vorbaus durch leichten Druck von außen zu öffnen gewesen sei, ein Anheben um 4 Millimeter sei dabei nicht erforderlich gewesen.

Das Gutachten von Rodger Ide – Tatorte Vorbau und evtl. 1. OG

Zur Person

Roger Ide aus Birmingham ist forensischer Wissenschaftler, Spezialist für Brandursachenforschung und Autor mehrerer Fachbücher zum Thema, die als Standardwerke gelten. Er wird regelmäßig von den britischen Ermittlungsbehörden beauftragt.

Kernaussage

Ein einziger Brandherd im Vorbau sei möglich, und zwar im Bereich der Tür/ des Briefkastens. Ausgehend von diesem Ort kann sich das Feuer in die oberen Stockwerke vermittelt haben. Ein einziger Brandherd im 1.OG sei auszuschließen, das sich das Feuer nicht in der erforderlichen Geschwindigkeit nach unten habe ausbreiten können, wie dies die Spuren erzwingen. Herabstürzende Treppenteile als Ursache für das Feuer im Vorbau seien ebenfalls auszuschließen: Sowohl Rußanhaftungen an der Wand des Treppenhauses und die unverrußten Paßücken die Stufen beweisen, dass die Treppe noch nicht abbrach, als es bereits von unten brannte.

Für das wahrscheinlichste Szenario hält Roger Ide hingegen zwei Brandherde: Zum einen besagte Stelle im Vorbau bei der Eingangstür und zum anderen im 1.OG, allerdings nicht dort, wo es die Staatsanwaltschaft behauptet: Stattdessen fasst Ide den Flurbereich direkt oberhalb des Vorbaus, hinter einem Fenster, als möglichen zweiten Brandherd ins Auge.

Die Beschädigungen an der Stelle, die die Staatsanwaltschaft für den Brandherd hält, ließe sich laut Ide leicht durch brennend abtropfendes Styropor erklären, das laut einem Mitarbeiter der Diakonie in dem entsprechenden Deckenbereich verbaut war. Die insgesamt starken Brandzehrungen dort rühren daher, dass dieser Bereich als letztes von der Feuerwehr gelöscht werden konnte, also entsprechend lange dem Feuer ausgesetzt war. Die weniger starken Beschädigungen in der linken Haushälfte sind durch andere bauliche Gegebenheiten erklärbar: Hier wurde Styropor entfernt und ein feuerfester PVC-Boden verlegt.

Brandstiftung von außen war möglich

Die Staatsanwaltschaft behauptete durchgängig, ein Anschlag von außen sei schon deshalb auszuschließen, weil ein Eindringen in das Haus nicht erfolgt ist. So sei die Haustür verschlossen gewesen, andere Möglichkeiten habe es nicht gegeben.

Dem widersprechen vor allem die Aussagen der Hausbewohner:innen: Dass ein Fenster des Vorbaus leicht defekt und dadurch bereits durch leichten Druck von außen zu öffnen gewesen sei, bestätigten die allermeisten Hausbewohner:innen. Kibolo K. sagte zudem aus, dass die Haupteingangstür nachts sehr oft unverschlossen gewesen sei. Auch der Sachverständige Prof. Achilles stellte diesen Defekt des Fensters bei seiner Untersuchung des Hauses fest.

Hinzu kommt, dass laut Aussage eines Hausbewohners, der im Vorbau eingebaute Briefkasten defekt war und eine Brandlegung durch den Briefkastenschlitz möglich war. Der Briefkasten habe von außen eine Klappe aus Metall gehabt, innen einen Holzkasten mit Tür. Diese Tür sei bereits vor dem Brand kaputt und geöffnet gewesen. In unmittelbarer Umgebung des Briefkastens war der Eingangsbereich und der Eingangstür vollständig weggebrannt und hinter der Türschwelle fanden sich im Fußboden tiefe Durchbrennungen.

Die Anwältinnen Safwan E.‘s verwiesen in diesem Zusammenhang darauf, dass René B. selber aussagte, dass er die notwendigen Materialien für ein Ein-/Umfüllen von Benzin o.ä. besaß: Er hatte 2 Kanister á 5 Liter und einen 20-Liter Kanister in seinem Wartburg dabei, vorherige Umfüllaktionen mit einem Schlauch gab er zu Protokoll. Auch Heiko P. sagte aus, dass B. mindestens einen Kanister samt Schlauch “normalerweise regelmäßig“ im Auto hatte.

Eine dritte Möglichkeit besteht durch einen möglichen Einbruch. So hatte die Kriminaltechnik festgestellt, dass es Aufbruchsspuren am Fenster zum Büro gegeben hatte. Das Fenster sei eingeschlagen gewesen und zusätzlich weise es Hebelspuren auf, die von einem Werkzeug stammten. Ein Kriminaltechniker sagte im Prozess aus, er sei davon ausgegangen, dass die Feuerwehr im Zuge der Löscharbeiten versucht habe, das Fenster entsprechend zu öffnen. Gleichzeitig konnte sich keiner der Feuerwehrleute an ein solches Geschehen erinnern.