Wir, die Überlebenden des Brandanschlags vom 18. Januar 1996, melden uns zu Wort
Wir dokumentieren eine Stellungnahme der Überlebenden des Brandanschlags in der Hafenstraße in Lübeck vom Frühjahr 1996:
Nach Wochen der Trauer wenden wir uns an die Öffentlichkeit. Nicht genug, dass wir zehn Menschen aus unserer Mitte verloren haben. Wir werden weiter gequält. Die Presse ist über uns hergefallen. Wir selber sollen den Brand gelegt haben. Unser Freund, Bruder und Sohn Safoan soll der Täter sein. Aber die wirklichen Täter laufen frei herum und werden nicht weiter verfolgt.
Wir haben in der Hafenstraße jahrelang zusammengelebt wie eine große Familie. Unsere Kinder haben überall im Haus miteinander gespielt – egal, ob sie schwarz oder braun oder weiß waren. Wir haben uns sehr gut verstanden.
Jetzt behaupten die Medien einen bösen Streit zwischen Arabern und Afrikanern. Diesen Streit gibt es nicht. Wir haben in Frieden und Freundschaft zusammengelebt – wir, Flüchtlinge aus Angola, aus dem Libanon, aus Syrien, aus Togo, aus Zaire. Es wird ihnen nicht gelingen uns zu spalten. Der Brandanschlag vom 18. Januar war nicht der erste Angriff auf uns. Bereits im Juni letzten Jahres wurde im Eingang des Hauses eine stark riechende, brennbare Flüssigkeit ausgeschüttet. Es ist damals nichts weiter passiert. In der Nacht zum 18. Januar haben einige von uns deutlich gehört, wie eine Scheibe eingeschlagen wurde. Kurz darauf stand das ganze Haus in Flammen. Viele von uns sind aus den Fenstern gesprungen.
Der Polizei haben wir gesagt, wo die meisten Menschen im Haus sind. Sie hat uns nicht geholfen. Die hat zugeschaut, bis die Feuerwehr kam. Mit schlimmen Knochenbrüchen, Brandverletzungen und Rauchvergiftungen sind wir in die Krankenhäuser gebracht worden. Viele von uns waren und sind schwer verletzt. Das hat die Polizei nicht interessiert. Noch in der Tatnacht haben sie uns langen und quälenden Verhören ausgesetzt. Wir wurden verdächtigt selbst Schuld zu sein. Wir sind behandelt worden, wie die Täter, wie Verbrecher Sie haben keine Rücksicht genommen auf unsere Trauer um die Menschen, die wir verloren haben. Zuerst wurden wir für dumm und primitiv gehalten. Wir sollen Feuer in den Wohnungen gemacht haben, wir sollen mit Benzin gehandelt haben, wir sollen an der elektrischen Anlage herum gespielt haben und so weiter. Das ist alles nicht wahr. Wir sind nicht dumm.
Dann haben sie versucht die Täter unter uns zu finden. George haben sie verdächtigt, Rabi und Silvio. Rabi und Silvio sind beide tot – sie waren unsere Freunde. Und dann haben sie Safoan festgenommen. Er soll einen Streit mit Gustave gehabt haben. Dann soll er aus Rache das Haus angesteckt haben, indem seine eigene Familie lebt und er selbst geschlafen hat. Gustave und alle anderen haben vor der Polizei, vor der Presse und im Fernsehen gesagt, dass es zwischen ihnen keinen Streit gegeben hat. Es gab keine Prügelei, und es gab keinen Streit um eine Frau und keine Eifersucht. Wir wissen alle: Safoan kann nicht der Täter gewesen sein. Und niemand anderes aus dem Haus war es. Safoan hat mit seinen Brüdern im 4 Stock in der Hafenstraße geschlafen, bis er von Rufen der Nachbarin geweckt wurde. Als er die Tür öffnete, schlugen ihm die Flammen und der Rauch entgegen. Safoan hat sofort damit begonnen, andere Menschen aus dem Haus zu retten. Er wurde dabei selbst vom Feuer verletzt.
Die deutschen Jungen sind nur wenige Stunden vernommen worden. Sie kamen nicht in Untersuchungshaft. Sie sind nach weniger als 48 Stunden freigelassen worden. Ihre Namen wurden geschützt. Safoans Name und sein Bild ging durch die Presse. Sie haben ihn schon verurteilt, bevor noch die Anklage erhoben ist. Safran hat es nicht getan. Er muss im Gefängnis bleiben, weil kein Deutscher der Täter sein soll. 38 Zeugen, die alle dasselbe sagen: Safoan ist nicht der Täter, wird nicht geglaubt. Aber einem einzigen deutschen Feuerwehrmann wird geglaubt. Das Wort der Ausländer ist nichts wert. Der Feuerwehrmann sagt nicht die Wahrheit. Er hat seine Aussage erst gemacht, als eine Belohnung für die Ergreifung der Täter ausgestellt war. Warum hat er sich nicht direkt an die Polizei gewandt, die im selben Fahrzeug saß, als Safoan mit ihm gesprochen hat? Bis heute versucht die Polizei, Zeugen zu finden, die ihn belasten. Immer wieder werden wir aufgefordert, doch zu sagen, dass er es war. Kinder werden bis zu fünf Stunden ohne ihre Eltern und ohne einen Anwalt verhört. Die Polizei sagt ihnen: du kennst doch den Täter, Safoan! Erzähl über ihn, was weißt du über ihn!? Um uns zu beleidigen, und uns in der Öffentlichkeit schlecht zu machen, denken sie sich die Schäbigsten Geschichten aus: Wir sollen unsere Kinder verprügelt haben. Wir sollen Porno-Filme mit unseren Kindern gedreht haben. Wir sollen Safoan geschützt haben, weil wir angeblich etwas zu verbergen haben. Sie wollen uns unglaubwürdig machen und gegeneinander aufhetzen. Es wird ihnen nicht gelingen. Jetzt drohen sie uns mit Abschiebung: Der Brandanschlag soll mit unserer Asylbewerbung nichts zu tun haben. Sie wollen lästige Zeugen loswerden.
Nach dem Brand sind jedem von uns 1.000 DM zugesagt worden, um uns das Nötigste zu kaufen. Wir haben ja alles in den Flammen verloren. Nur unsere Kassetten hat die Feuerwehr gerettet. Sie sind von der Polizei beschlagnahmt worden, weil sie belastendes Beweismaterial auf ihnen vermutet hat. 800 DM sind uns schließlich gezahlt worden. Wir sind nicht dankbar für diese Unterstützung: die Stadt will uns ihr schlechtes Gewissen abkaufen. Uns sind Wohnungen zugesagt worden. Es wird behauptet, alle hätten eine Woche nach dem Brandanschlag eine Wohnung erhalten. Auch das ist nicht wahr. Einige von uns leben noch heute in der Kaserne.
Wir wollen etwas anderes:
- Wir wollen einen unbefristeten und gesicherten Aufenthalt.
- Wir wollen eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung.
- Wir wollen das Ende der quälenden und erniedrigenden Verhöre.
- Wir wollen die Einstellungen der staatlichen Ermittlungen gegen uns.
- Wir wollen das Safoan sofort freigelassen wird und die Ermittlungen auch gegen ihn eingestellt werden.
- Wir wollen dass die richtigen Täter gesucht und gefunden werden und dass unsere Beobachtung ernst genommen werden.
- Wir wollen dass unser Bericht öffentlich bekannt wird und unsere schlimmen Erfahrungen international untersucht werden.